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Schiller immer
noch zeitgemäß

Kühnhold-Lesung macht Appetit

Von Rainer Maler
Lichtenau (WV). Friedrich Schillers »Die Glocke« klingt manchen noch aus der Schulzeit in den Ohren, »Die Räuber« und »Wallenstein« standen zum Leidwesen vieler Gymnasiasten auf dem Lehrplan, Goethe und Schiller gelten vielen als Klassiker »zum Abgewöhnen«.

Dass Friedrich Schiller (1759-1805) einer der begnadetsten Dichter der deutschen Sprache ist und keineswegs zu den verstaubten Klassikern gezählt werden darf, zu Unrecht dem Schicksal der viel zitierten, aber selten gelesenen Autoren zugerechnet wird, davon musste der Leiter der Studiobühne Paderborn, Dr. Wolfgang Kühnhold, seine Zuhörer nicht mehr überzeugen.
Im Rahmen des »Dalheimer Sommers« war seine Veranstaltung als sonntägliche Matinee unter die Überschrift »Wolfgang Kühnhold spricht Schiller« gestellt. Keine Lesung, sondern die den jeweiligen prosaischen Texten, Auszügen aus Briefen, Gedichten und Balladen angepasste Intonation des Rezitators machte die Matinee zu einem kleinen feinen Genuss, mit Appetit auf mehr Schiller und andere Klassiker der Literaturgeschichte.
Mal sprach Kühnhold mit leiser, fast resignierender Stimme über das Erschrecken des Dichters im Angesicht politischer Realitäten und Grausamkeiten, mal aufbrausend, mit scheinbar zornbebender Stimme beschwor er die Ideale der Menschen im Kampf gegen das Böse, so wenn in der Ballade »Die Kraniche des Ibykus« sich am Ende der Mörder durch Himmelszeig entlarvt und seine gerechte Strafe erhält.
Das Werk Schillers, seine Gedichte seien eine sonderbare Mischung aus Anschauung und Abstraktion, schrieb einst Geheimrat Wolfgang von Goethe über seinen Zeitgenossen. Der politisch denkende und schreibende Schiller, promovierter Mediziner und zeitweilig Regimentsarzt, war vor dem Militarismus und einem Schreibverbot des württembergischen Herzogs nach Thüringen geflohen. Enthusiastisch kämpfte er in seinem schriftstellerischen Werk als Dichter und Essayist oft mit revolutionärem Ungestüm gegen Ungerechtigkeit.
Er gilt als Protagonist des deutschen Idealismus. In seinen Gedichten und Balladen finden sich Euphorie und Hoffnungslosigkeit. Genial legt Schiller von Liebe und Enttäuschungen als tragischen Lebensmustern Zeugnis ab, bildet wahres Leben in seinen Heldenfiguren wie Karl Moor oder Wallenstein ab - alles wie im wirklichen Leben. Deshalb wirken Schillers Texte immer noch authentisch und meist zeitgemäß.
Mit den Jahren aber zog der Dichter Schiller eine ernüchternde Bilanz: die Ideale sind zerronnenÉ, des Zweifels finstere Wetter zogen auf É und enden in der Gefühle dunkler Gewalt.« Sein jugendlicher Idealismus wurde vom Realismus und einer das Mittelmaß bevorzugenden Selbstzufriedenheit der Gesellschaft aufgezehrt. Den Schulen aber wünscht man einen Interpreten wie Kühnhold, der mancher Deutschstunde mit gesprochenen Klassikern neue Impulse verleihen könnte.

Artikel vom 23.08.2006