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Süße Kunstwerke zum Anbeißen

WESTFALEN-BLATT-Serie zu Kaffeehäusern in Gütersloh - heute: das Stadtcafé

Von Catarina Hofmann
Gütersloh (WB). »Ich bin noch bei Riedder. Ich komme gleich«, telefoniert eine ältere Dame. Café Riedder, wo ist das denn? »Na, Café Müller.« Café Müller? Neue Namen haben es schwer. Seit 20 Jahren heißt das Café Stadtcafé, aber die alten Namen haben sich gehalten, vor allem beim Stammpublikum.

Aus einem Kolonialwarengeschäft hervorgegangen, machten die Urgroßeltern Riedder der jetzigen Inhaberin Tanja Kathöfer ein Café daraus. Heute ist es eine grüne Oase mitten in der Innenstadt. Mit Blick auf einen Goldfischteich mit drei Gartenzwergen, Wiese und Bäumen sitzen die Kaffeehaus-Besucher im hellen Ambiente aus weißen Stühlen und schauen durch die Rundbogenfenster ins Grüne.
Das Haus ist mehr als 100 Jahre alt und das Café älter als 150 Jahre. An der Wand hängen alte Stadtansichten Güterslohs und die Meisterbriefe der Familie. Die in acht Stunden entstandenen Werkzeichnungen von Vater und Tochter für ihre Meisterstücke zum Thema Gütersloh bzw. Weihnachten sind zu bewundern. Stoffrosen und künstliche Buchsbäume durchziehen die Räume in gedecktem Weiß. Ein Kindertisch gefüllt mit Stiften, Büchern, Papier steht bereit für kleine Gäste. Lange Zeit gab es im Keller eine Kegelbahn, der jetzt als Lager dient.
30 Jahre betrieben die Eltern Müller das Café. Sie unterstützen den FC Gütersloh, der im hinteren Raum »Tiffany« seine Pressekonferenzen abhält. 200 Sitzplätze sind innen, weitere 50 draußen vorhanden. Ebenso tagt hier regelmäßig der Verein »Zeig Herz e.V.«, dessen Ziel die unbürokratische Hilfe für Slums in Südafrika ist, dem auch die beiden Schwestern der Familie Müller angehören.
Die Chefin des Hauses, Tanja Kathöfer (32), glaubt an eine Renaissance des Cafés, an alte Werte. Ob Neues immer besser ist, das steht in Frage. Sie habe leider kaum Laufpublikum, man muss das Café schon kennen. Viele Gäste lesen die aktuellen Tageszeitungen gebunden am Holzstock oder freuen sich auf die neuen Illustrierten. Ein Gast kommt immer und löst die Kreuzworträtsel, einer arbeitet dicke Bücher durch.
Eine Neuheit sind Pralinen oder Hochzeitstorten, auf denen das Brautpaar zu sehen ist. Überhaupt: Fotos auf Torten sind angesagt. Diese Fotos werden dabei auf spezielles Esspapier übertragen.
Die heutige Inhaberin machte bereits in der Backstube als Kind ihre Hausaufgaben und malte. Sie ist hier groß geworden. Für sie war es im Gegensatz zu ihrer Schwester klar, dass sie das Café von ihren Eltern übernimmt. 2002 war es soweit. Nach einer Ausbildung als Konditorin besuchte sie die Meisterschule in Wolfenbüttel bis 1997, die sie mit Auszeichnung für das beste Meisterstück abschloss.
Abwarten, Nichtstun, das ist nicht ihre Sache. Unlängst hatte sie einen Auftrag über eine zehnstöckige Hochzeitstorte und vier Torten für einen Abend. Das sind dann Stresszeiten. Aber Sonderwünsche machen auch Spaß. Kreativität ist gefragt. »Am Puls der Zeit bleiben«, sagt Tanja Kathöfer, das sei ihr wichtig. »Wir machen auch Torten mit Springbrunnen und Treppen. Auch ein Elch aus Marzipan wurde schon bestellt, ebenso eine Torte für einen Gärtner mit Bäumen. Einmal sollte es eine Torte sein, die wie ein Paradies aussieht, mit Adam und Eva. Sogar eine nackte Marylin Monroe wurde schon bestellt.« Eine Tortenidee konnte fast neidisch machen. Ein Mann schenkte seiner Frau zum runden Geburtstag eine Kreuzfahrttorte als Gutschein für die Reise. Auf der Torte war die Reiseroute.
Es habe ihr auch schon mal leid getan, eine Torte anzuschneiden. Das war ein Auftrag zum 100-jährigen Bestehen von Miele. Die Torte war 1,20 Meter groß, eine Weltkugel und die berühmte Tante Miele waren auch zu sehen. Ein anderes Mal war es die nachgebaute ehemalige Kommandantur und heutige Bertelsmann-Repräsentanz Unter den Linden 1 in Berlin für den Abschied eines Managers. Das waren kleine Kunstwerke, fast zu schade, um in Stücke geschnitten und verspeist zu werden. Weitere Besonderheiten sind Pralinen mit dem Gütersloher Stadtsiegel, die gern außerhalb Güterslohs verschenkt werden, aber auch Trüffel und Pralinen mit Champagner-Creme.
In Erwartung ihres zweiten Kindes gönnt sich die 32-Jährige keine Auszeit. Schon ihre Mutter ging so wie sie beim ersten Kind von der Backstube ins Krankenhaus. Ihre Eltern konnten noch für zwei arbeiten, sagt die junge dynamische Frau, die während des Gesprächs die ganze Zeit alle Gäste und ihre Wünsche im Blick hat. Das scheint sie von ihren Eltern übernommen zu haben.

Artikel vom 22.08.2006