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Schüler ohne Ehrgeiz
wird Gymnasialleiter

Dr. Klaus Walaschewski berichtet aus seinem Leben

Brackwede (sw). Er ist ein Mann mit drei Lebensläufen. Einer bezieht sich auf seine Tätigkeit als Handwerker, der zweite auf seine Zeit als Student und Wissenschaftler. Der dritte Lebenslauf ist der Abschnitt, den viele Menschen aus dem Bielefelder Süden mit ihm in Verbindung bringen: seine Zeit als Lehrer und Schulleiter des Brackweder Gymnasiums. Über die drei großen Kapitel seines Lebens berichtete Dr. Klaus Walaschewski jetzt im Erzählcafé des »Treffpunkt Alter«.

13 Jahre lang war er der Chef des Brackweder Gymnasiums, bevor er im Sommer 2005 pensioniert wurde. »Ich bin am 31. Juli 2005 in Ruhestand gegangen, wurde aber erst am 4. August 65 Jahre alt. Dafür bekomme ich zwölf Euro Pension im Monat weniger«, berichtet der Pädagoge. Ein Mann, der es genau nimmt.
Groß geworden ist er in einem Dorf bei Siegen. Dorthin - damals noch eine Kleinstadt - zog die Familie nach dem Krieg. Klaus besuchte von 1947 bis 1955 die Volksschule. »Ich hatte keinen besonderen Ehrgeiz, bin einfach irgendwie durchgekommen.«
Die Berufsberatung beim Arbeitsamt empfahl ihm, Bauingenieur zu werden. »Also habe ich das Maurerhandwerk erlernt.« Nebenbei wuchs das Interesse für klassische Musik. »Zuerst Mozarts ÝKleine NachtmusikÜ, dann Schuberts ÝFünfte SinfonieÜ. Davon habe ich Tonbandaufnahmen gemacht.« Durch einen Kollegen am Bau entschied er sich zum Besuch der Abendrealschule. »Ich erlebte die deutsche Literatur, Theaterstücke - eine Sternstunde. Mein Ehrgeiz war erwacht, jetzt wollte ich das Abitur am Abendgymnasium nachholen und studieren.«
Dafür zog er nach Wuppertal, übte dort verschiedene Berufe aus. Unter anderem bewarb er sich in der Buchhandlung, in der Johannes Rau lernte. »Das hat aber nicht geklappt, und schließlich wurde ich Packer in einer Knoblauchpillen-Fabrik.«
Die Arbeit war so anstrengend, dass Walaschewski abends in der Schule oft einschlief. Trotzdem gehörte er zu den 18 Absolventen, die 1965 das Abitur bestanden - von anfangs 80 oder 90 Bewerbern. »Was sollte ich studieren? Ich dachte über Psychologie und Deutsch nach. Aber damit konnte man nur Lehrer werden, und das schien mir nicht so attraktiv.« Etwas Handfesteres musste her - die Physik.
Im Jahr der Reifeprüfung heiratete Walaschewski eine Mitschülerin aus dem Gymnasium. Ein Jahr später kamen Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen, zur Welt. Seine Frau musste ihr Studium aufgeben. Walaschewski selbst zog es zur Universität Bonn. Jeden Tag fuhr er von Wuppertal aus mit dem Zug in die damalige Bundeshauptstadt. »Die Demonstrationen der Studentenbewegung 1968 habe ich nicht mitgemacht - ich musste immer den Zug erreichen.« Die Diplom-Prüfung legte er 1971 ab, die Diplom-Arbeit schrieb er anschließend am Max-Planck-Institut in Göttingen, wohin er seinem Professor und späterem Doktor-Vater gefolgt war. Das Thema, das ihn zum »Dr. rer. nat« machte, war ähnlich dem der Bundeskanzlerin: die Berechnung von Reaktionskonstanten.
Walaschewski wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent am Institut, doch die Stelle war zeitlich befristet, und er wollte etwas Dauerhaftes. »Und dann bin ich Lehrer geworden.« Ein passendes Studienseminar gab es in Bielefeld. »Ich erinnere mich noch, wie ich das erste Mal die schöne Gegend in Senne sah. Da habe ich dann später gewohnt.«
Die Familie, die inzwischen nach Göttingen gezogen war, folgte sechs Monate später. Als Studienreferendar landete Walaschewski am Gymnasium Heepen. 1979 wurde er Studienrat, zwei Jahre später Oberstudienrat. 1987 schließlich wurde er stellvertretender Schulleiter und Studiendirektor, schließlich sogar an der Seite der späteren Schulministerin des Landes Nordrhein-Westfalen. Gabriele Behler, die er nach ihrem Weggang beerbte. Nebenbei hatte Walaschewski viele Aufgaben: Er war Leiter der Physiksammlung, Fortbildungskoordinator der Physiklehrer in Bielefeld und Gütersloh, Fachberater des Dezernenten und Mitglied in der Jury des Wettbewerbs »Jugend forscht« sowie der Kommission, die das neue Gymnasialfach »Technik« einführte.
Am 1. Juni 1992 dann führte der Weg nach Brackwede. »Fachlich kam ich in ein Entwicklungsland«, erinnert er sich an den »sehr ausbaufähigen« Zustand der Physiksammlung am heimischen Gymnasium. Computer? Fehlanzeige. »Ich fuhr nach Heepen und lieh mir einen - damit konnten wir dann die Planungsarbeiten angehen.« Während seiner Zeit wurden viele Neuerungen eingeführt, zum Beispiel die Sportklasse, Kooperationen mit Grundschulen, das Experimentier- und Mitmachlabor »Teuto-Lab«, Nachmittagsbetreuung und, und, und. Teilweise sei die Arbeit belastend gewesen, weil zu wenige Lehrerstellen vorhanden waren: »Belastend, aber schön.« Angenehm: »Wenn der Schulleiter redet, hören alle zu.«
Auch im Erzählcafé hörten alle zu - und stellten anschließend interessierte Fragen. Dabei verriet der Pensionär unter anderem, dass er seit Beginn des Ruhestands Cello und Italienisch lerne.

Artikel vom 19.08.2006