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Oma Käthe
entdeckt die
Hauptstadt

Mit 91 Jahren erstmals in Berlin

Verl/Berlin (WB). »Berlin ist eine Reise wert«, hatte ihr eine Freundin schon vor über 40 Jahren gesagt, aber die tägliche Arbeit in ihrer Gaststätte ließ Käthe Dresselhaus damals keine Zeit dazu. Nun trat sie die Reise doch noch an und das in einem stolzen Alter: Mittlerweile ist die in Verl und Umgebung bekannte ehemalige Chefin des Landgasthauses »Zur Wirtin« 91 Jahre alt.

Von ihrer Tochter Maria erhielt sie den Reisegutschein zu Weihnachten 2005, aber erst Ende Juli passten Gesundheitszustand, Terminkalender und Wetter zusammen. Um 7 Uhr morgens stieg sie mit Tochter und Schwiegersohn Michael ins Auto und fuhr inklusive einer kleinen Frühstückspause in Marienborn in die Bundeshauptstadt. Die Größe der Stadt, die Stadtautobahnen, die vielen Menschen und Autos waren überwältigend für sie. Um das geplante Programm schaffen zu können, setzte sie sich in Berlin gerne in einen Rollstuhl und fuhr dann zum ersten Mal in ihrem Leben mit der U-Bahn. War das Rattern und Wackeln ihr anfangs etwas unheimlich, wurde sie von der Architektur des Sony-Centers entschädigt. Hierhin wollte sie unbedingt, weil hier »der Kerner, der Klopp und der Meyer waren bei der WM, und die haben mir viel besser gefallen als der komische Netzer - den mag ich nicht so gerne . . .«, ließ sie wissen.
Als nächstes ging es im Rollstuhl die kurze Strecke durch den Tiergarten zu Bundestag und Kanzleramt. So groß hatte sie sich das alles nicht vorgestellt. Die strenge Personenkontrolle beim Betreten des Bundestages war ihr zwar nicht ganz geheuer, aber die Aussicht von der Dachterrasse des Bundestages über das sonnige Berlin fand sie überwältigend: »So eine alte Frau mit 91 Jahren hier oben - dass ich das noch erleben darf!« Vor dem riesigen Kanzleramt stehend war sie allerdings spontan der Meinung: »Das Haus ist doch viel zu groß für nur eine Frau!«
Auch in Gedanken immer noch mit der Gastronomie verbunden, galt ihre Anteilnahme den vielen Kneipen, Restaurants und Bars, an denen sie vorbeifuhr und in denen überall Gäste saßen: »Wie können die hier bloß alle existieren?« staunte sie.
Kein bisschen müde begann sie das Programm nach dem Mittagessen (»Mein Püree früher war besser . . .!«) mit einer Rollstuhlfahrt durch das Brandenburger Tor. Den Nachmittags-Kaffee wollte sie aber nicht im Hotel Adlon trinken, denn 11,50 Euro für das Kännchen kommentierte sie mit »Was? Wer soll das denn bezahlen?«
Aus dem Staunen nicht mehr heraus kam sie im KaDeWe. So groß, so viel und so teure: Das hatte sie in ihrem Leben noch nie gesehen. Die Flasche vom edelsten Whiskey für über 1225 Euro (»Das sind ja fast 2500 Mark«) hielt sie für »Spinnerei«.
Über den Kurfürstendamm, vorbei an der Gedächtniskirche ging es wieder zum Auto, weil es noch eine Überraschung für sie geben sollte. Zusammen mit Schwiegersohn und Tochter fuhr sie nicht direkt wieder nach Hause, sondern zum Haus von Günter Jauch in Potsdam. »Der verdient bestimmt viel Geld - bei dem schönen Haus . . .!« Als sie gegen 20 Uhr beim Abendessen in einer Raststätte bei Magdeburg saß, war bei ihr von Müdigkeit immer noch keine Spur zu merken. Ihre Erklärung dafür war einfach: »Wenn ich zum Tanzen gehĂ•, tut mir mein Bein nicht weh. . .!«

Artikel vom 18.08.2006