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Der Backenzahn schmerzt,
die Grütze wird zum Graus

Jochen Malmsheimer nähert sich Canossa-Protagonist

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WV). Die grüne Mappe mit den Initialen »HIV« hat es in sich. Jetzt wissen wir endlich, wie es zu »Canossa« kam.

Nix Anti-Immunschwäche - die drei Großbuchstaben, die auf dem Einband prangen, stehen natürlich für »Heinrich den Vierten« und zieren die Kladde, die jüngst bei Ausgrabungen in der Königsgruft im Wormser Dom entdeckt wurde. Kabarettist Jochen Malmsheimer zitierte jetzt im Audimax der Theologischen Fakultät erstmals aus dem sensationellen Fund.
Vorsicht, Kabarett: Die »Vita Henrici« ist natürlich eine Fälschung, verfügt aber im Gegensatz zu den ebenfalls frei erfundenen Kujau'schen Hitler-Tagebüchern über richtig guten Unterhaltungswert. Gemeinsam mit seinem musikalischen Bühnenpartner Uwe Rössler lieferte der Bochumer Kabarettist mit dem Programm »Zwei Füße für ein Halleluja« einen köstlichen Canossa-Abend im satirischen Schlagschatten der historischen Fakten - zum Brüllen.
Fast schien es, als sei der büßende König leibhaftig dem derzeit in der Städtischen Galerie hängenden Schwoiser-Schinken entstiegen. Mit wallendem Haupthaar und üppigem Vollbart lieh Malmsheimer dem Salierherrscher markig seine Stimme. Und so lernen die Zuhörer in »authentischen« Tagebuchaufzeichnungen den jungen König kennen, der keine Grütze mag und sich über die Erziehungsmethoden und den Mundgeruch des Erzbischofs Anno beklagt, der ihn unter dem fadenscheinigen Vorwand, ihm seine Siegelsammlung zeigen zu wollen, nach Köln entführt hat.
Auch nach der Übernahme der Regierungsgeschäfte hält sich der Spaßfaktor bei Hofe in Grenzen. Weiterhin steht nur Grütze auf dem Speisezettel, der Backenzahn schmerzt und die Sachsen werden zu einem dauernden Ärgernis. Und zu allem Überfluss muss sich Heinrich jetzt auch noch zu Fuß über die verschneiten Alpen aufmachen, um den Papst zu treffen. Das Herrscherleben ist wirklich kein Zuckerschlecken, zumal Königin Berta ständig nörgelt. »Wenn ich dem Papst meine Frau vorstelle, dann merkt er hoffentlich, dass schon die Anreise ein übermäßiger Bußgang war.«
Rössler illustriert das »hysterische Kabarett in Geh-Dur« an Flügel, E-Piano und »wohltemperiertem Klistier« durch die immer wieder variierte »Te Dessa« eines unbekannten italienischen Mittelalter-Komponisten, die auch spätere Meister von Bach bis Beethoven, Mozart bis Prokofieff hörbar inspiriert hat. Fröhliche Ovationen nach knapp zwei kurzweiligen Stunden. Wiederholung im Oktober.

Artikel vom 14.08.2006