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Reise ins Land der Phantasie:
Fabelwesen für den Garten

Steinerne Macht - Götterdämmerung hinter Hecken

Aufgeplusterte Vögel aus Ton hocken auf Stangen zwischen den Sommerblumen, grimmige Faungesichter speien Wasser in verwitterte Brunnenschalen, romantische Rosen umspielen steinerne Mädchenfiguren mit Patina. In vielen Gärten finden sich derartige Dekorationsgegenstände.Verwunschene Gartenecken wirken durch Accessoires wie dieses grimmig dreinschauende Faungesicht aus Terrakotta noch geheimnisvoller.
Was aber bringt uns Menschen dazu, unsere Gärten mit Phantasiewesen aller Art auszustatten? Sind es Relikte aus Urzeiten, die tief in uns wurzeln? Die Sehnsucht nach einem verwunschenen Ort? Bei der Auswahl der Objekte machen wir häufig Anleihen in der Antike, im Barock oder in anderen Epochen. Alle Zeiten haben ihre Spuren in der Gartengestaltung hinterlassen und wir können aus einem tiefen Fundus schöpfen. In frühen Kulturen galt die Natur als beseelt: Götter und Geister lebten der Vorstellung nach in Bäumen und Wasserläufen, bevölkerten Wälder und Wüsten, hüteten Schätze der Erde und beeinflussten das Wetter. Mit Skulpturen aus Stein und gebranntem Ton beschworen die Menschen die unsichtbaren Wesen und Mächte, ihnen gewogen zu sein. So entstanden Fabelwesen wie Sphinxen oder Nachbildungen von Löwen. An strategisch wichtigen und vermeintlich magischen Plätzen, an Quellen, mächtigen Bäumen, in grünen Hainen und Tempelgärten wurden sie aufgestellt, gleichsam als früheste Vorfahren der heutigen Gartenwesen. Bei den Griechen kamen zu den Göttern und Geistern die Helden, hinzu, in deren Namen die Jugend Wettkämpfe aufführte. Zeus und Apollo, Herakles, Ariadne, Achill und viele andere bevölkerten die Gärten und erinnerten an Mythen und Heldentaten. Auch in römischen Anlagen waren Statuen keine Seltenheit. Der Einfluss der Antike wirkt bis heute nach: Nachbildungen von Apoll bis Venus findet man in jedem Gartencenter.
Die Renaissance und noch mehr das Barock knüpften an das klassische Altertum an. Die Götter und Helden aus den griechischen und römischen Gärten tauchten damals auch in den Boboli-Gärten in Florenz, in den Gärten am Heidelberger Schloss oder in Versailles auf. Mit dem Aufstellen der Statuen wurde nun allerdings ein ganz bestimmter Zweck verfolgt: Sie sollten die Machtfülle und die Kultiviertheit des Königs oder Herrschers unterstreichen: So stark wie Herakles - das bezog der König auf seine Regentschaft.
Gegen Ende des Barock kamen durch die Entdeckung bisher unbekannter Regionen der Welt kuriosere Dinge aus fremden Ländern in die heimischen Gärten. Exotische Tiergestalten und asiatische Accessoires wurden Mode. Aber auch Witz und Ironie gaben den bisher so edlen Gartengestalten eine neue Note. Statuen von Fabelwesen, Erdgeistern und Dämonen besetzten Gartenecken, Abbildungen von Spaßmachern, Bettlern und Ganoven lockerten das Bild auf. Auch die Abbildungen von Zwergen gehörten zunehmend dazu. Bald erfreuten sich diese so großer Beliebtheit, dass ganze »Zwergengärten« entstanden. Einer der Berühmtesten wurde auf Veranlassung von Erzbischof Harrach im Garten von Schloss Mirabell bei Salzburg angelegt. Pläne aus dem Jahr 1725 zeigen 24 Zwergenfiguren, von denen einige die grotesk verzerrten Züge von Mitgliedern des Hofes getragen haben sollen. Aber nicht nur die Mächtigen begeisterten sich für die Zwerge, wie man in Goethes Hermann und Dorothea (1797) nachlesen kann. Im Kapitel »Thalia« spricht ein Apotheker von der Bewunderung, die seinem Garten gezollt wurde: »So war mein Garten auch in der ganzen Gegend berühmt und jeder Reisende stand und sah durch die roten Staketen nach dem Bettler von Stein und nach den farbigen Zwergen.«

Artikel vom 21.10.2006