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Sechs Zeugen,
sechs Versionen

Schlägerei-Prozess lässt Fragen offen

Steinhagen/Halle (fn). »Hier wird offenbar gelogen, dass sich die Balken biegen.« Drastische Worte fand gestern Richter Peeter-Wilhelm Pöld am Ende der Beweisaufnahme. Jeder der Beteiligten an einer nächtlichen Schlägerei lieferte eine andere Version. Und vieles musste im Dunkeln bleiben, etwa ob auch ein Hammer mit im Spiel gewesen war.

Angeklagt vor dem Haller Amtsgericht waren ein 30-Jähriger und ein 51-Jähriger - Hauptkontrahenten in einem handgreiflichen Streit am 6. Januar in einem Amshausener Wohngebiet, bei dem der 51-Jährige Amshausener einen Nasenbeinbruch, Prellungen am Kopf, eine verletzte Oberlippe und eine Gehirnerschütterung davontrug. »Unterstützt« wurden die beiden jeweils von zwei Familienangehörigen beziehungsweise Freunden.
Ausgangspunkt war an jenem Abend ein Streit auf der B 68. Der 30-jährige Pizza-Bote fühlte sich von der Fahrweise eines 36-Jährigen so gestört, dass er mit Lichthupe und Überholmanövern konterte. Auf dem Weg zu seiner Lieferadresse fuhr er genau wie sein Vorfahrer in Amshausen von der Bundesstraße ab. Der hielt vor der Wohnung des 51-jährigen Amshauseners, um den Betrunkenen (2,6 Promille!) herauszulassen. Der dritte im Bunde, ein ebenfalls angetrunkener 22-Jähriger, wollte den Pizza-Boten zur Rede stellen, während der 51-Jährige sich kurzerhand ins Auto des Pizza-Boten setzte und den Schlüssel abzog, um ihn am Wegfahren zu hindern. Der rief per Handy Bruder und Vater zu Hilfe.
Was dann geschah, bleibt unklar. Auch die mehrfachen Ermahnungen des Richters - »Das passt sowas von vorne und hinten nicht!« -, frischten das Gedächtnis der Befragten nicht auf. »Ihr seid gleich alle tot« soll der Pizza-Bote gedroht haben. Doch warum sollte dann der 36-jährige Fahrer aus dem »Lager« des Amshauseners erst in aller Seelenruhe den Wagen um die Ecke geparkt haben? Der 51-Jährige sei während der Auseinandersetzung zu einem Fahrzeug gegangen und habe einen Hammer herausgeholt, sagte der Bruder des Pizza-Boten aus. Doch wie soll das gehen, wenn zwei Beteiligte, vermutlich Vater und Bruder, ihn festhielten und der Bote ihn schlug?
Dass der angeklagte 30-Jährige, der Kampfsport betreibt, den 51-jährigen mehrfach ins Gesicht geschlagen hat, sahen Staatsanwaltschaft und Gericht aufgrund der Aussage einer unbeteiligten Zeugin und der Verletzungen als erwiesen an. Auch wenn der Pizza-Bote darauf beharrte, er habe sich nur gegen einen Angriff mit einem Hammer mittels einer einzigen Kopfnuss verteidigt.
Das Gericht urteilte aber nicht auf Notwehr sondern auf gefährliche Körperverletzung und setzte eine achtmonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung fest. Der 51-jährige Amshausener wurde für die Wegnahme des Autoschlüssels (Nötigung im Rausch) zu einer Geldstrafe von 675 Euro verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hat nun noch zu entscheiden, ob und welche der Zeugen wegen Falschaussage belangt werden.

Artikel vom 10.08.2006