09.08.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Die Kolumne Stadtgespräch erscheint mittwochs in dieser Zeitung.

Stadt
Gespräch

40 Jahre am »Katzentisch« (184. Folge):1963 bimmelte die letzte Straßenbahn


Das Straßenbahn-Unglück vor 50 Jahren leitete auch im Raum Paderborn den Rückzug der »Elektrischen« ein. Zwei Wagen der Straßenbahn waren am 11. August 1956 in der Heiersstraße gegenüber der Einmündung der Mühlenstraße aus den Schienen gesprungen und umgekippt. Ein Toter und 25 Verletzte waren die traurige Bilanz. Wegen der vergitterten Fußgängerinsel konnte ein Pkw-Fahrer der umstürzenden PESAG-Straßenbahn nicht ausweichen, er und seine Beifahrer erlitten nur leichte Verletzungen.
Die Stadt schaltete schnell. In der gesamten Innenstadt wurden die Schutzgitter auf den Fußgängerinseln entfernt. Damals gab es in Paderborn keine Fußgängerampeln, zu ihrer Sicherheit waren Verkehrsinseln an Einmündungen und Kreuzungen der Straßen eingerichtet worden. Diese Umzäunungen waren schon vor dem Straßenbahn-Unglück mehrfach Anlass zu Verkehrsunfällen gewesen.
Das schwere Unglück fand in den Medien der Bundesrepublik ein riesiges Echo, was auf die Deutschen Jugendmeisterschaften der Leichtathleten vom 11. bis 12. August 1956 im Inselbadstadion zurückzuführen ist. Sportreporter sorgten für bundesweite Verbreitung in Wort und Bild.
Immerhin 63 Jahre bestimmte die PESAG-Straßenbahn im vorigen Jahrhundert den Straßenverkehr in der Region Paderborn. Am 30. August 1900 fuhr die erste »Elektrische« auf der 4,8 Kilometer langen Strecke zwischen dem Paderborner Hauptbahnhof und der Lippebrücke in Neuhaus. Am 16. Mai 1901 war die Verlängerung bis zur Hauptwache des Truppenübungsplatzes Sennelager fertig. Diese »Soldaten-Linie« war abends vor dem Zapfenstreich »proppevoll«. Und manchmal wurde im Chor gesungen: »Liebe kleine Schaffnerin«.
Das Straßenbahnnetz der PESAG erreichte 1928 insgesamt 79,6 Kilometer. Schienen führten nicht nur nach Sennelager und Elsen, über die Linie 2 zwischen den Hauptbahnhöfen Paderborn und Detmold waren auch die »lippischen Äste« angeschlossen. Nach Hiddesen, Berlebeck, Bad Meinberg bis Blomberg. 1930 wurde sogar geplant, die Straßenbahn über Pivitsheide und Oerlinghausen bis Bielefeld zu verlängern und an das dortige Netz anzuschließen. Die Verwirklichung scheiterte an zu hohen Kosten. Auch der Bau einer Straßenbahn nach Salzkotten kam nicht zustande: Die Reichsbahndirektion in Kassel war dagegen.
Für die acht PESAG-Linien mit einer Gesamtlänge von fast 80 Kilometern fuhren 1928 36 Trieb- und Beiwagen, die über 1410 Sitz- und 1520 Stehplätze verfügten. Zwei Elektroloks und verschiedene Güterwagen kamen hinzu. Mit dem Straßenbahn-Güterverkehr wurden nicht nur Kohlen, Holz, Getreide und Baustoffe transportiert, auch Brot der Heeresbäckerei und Postsachen für die Ämter in Paderborn und Detmold.
Der Abbau des Straßenbahnnetzes im Raum Paderborn begann zwei Jahre nach dem Unglück in der Heiersstraße. Am 31. März 1958 wurde die Straßenbahnlinie 6 nach Elsen stillgelegt. Die Linien im »Lippischen« waren schon ab 1951 von der Bundespost übernommen worden. 1959 wurde in zwei Etappen das Reststück der Linie zwischen Schlangen und Paderborn stillgelegt. 1962 folgte das Teilstück zwischen Schloß Neuhaus und Sennelager. Am 27. September 1963 wurde die Geschichte der Paderborner Straßenbahn beendet. Die letzte Fahrt der »Elektrischen« führte von der Amtsverwaltung in Schloß Neuhaus zum Paderborner Hauptbahnhof.
Aus Straßenbahnfahrern wurden in den folgenden Jahren Lenker oder Schaffner der PESAG-Busse. Jetzt verkehren in und um Paderborn über 100 »Padersprinter«. Verkehrsexperten bedauern noch heute hin und wieder die Umstellung: »Hätten wir doch noch im Stadtgebiet die Straßenbahnschienen in Richtung Elsen, Neuhaus/Sennelager und Stadtheide/Marienloh/Bad Lippspringe!«Georg Vockel

Artikel vom 09.08.2006