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Gemeinsam Einsamkeit besiegen

Die Gütersloher Seniorin Ruth Einenckel engagiert sich im Haus der Offenen Tür

Gütersloh/Bielefeld (WB). Segeltörns in der Karibik, mit dem Wohnmobil von New York nach Kanada, immer gemeinsam unterwegs - die Gütersloher Ruth und Hans-Georg Einenckel kannten keine Langeweile. Dreißig Jahre sind sie nun verheiratet und planten, ihren Ruhestand aktiv zu genießen. Doch dann erkrankte Hans-Georg Einenckel an Alzheimer.

Auf einmal muss Ruth Einenckel zusehen, wie sie ihr Leben alleine gestaltet. Eine sinnvolle Beschäftigung fand sie unter anderem im Haus der Offenen Tür an der Kreuzstraße, einem Begegnungszentrum für ältere Menschen des Evangelischen Gemeindedienstes im Johanneswerk in Bielefeld. Dort arbeitet die Gütersloherin seit vier Jahren als Ehrenamtliche.
»Gut aussehend war er, als ich mich in ihn verliebte«, schwärmt die 61-Jährige. »Sportlich und groß.« Groß, bei einer Körpergröße von 1,60 Meter? Die Perspektiven verschieben sich, wenn man selber nur 1,30 Meter misst. Ruth Einenckel ist kleinwüchsig. Aufgrund ihrer Behinderung hat sie oft mehr kämpfen müssen als ihre Mitmenschen. Das hat sie misstrauisch gegenüber Tuscheleien anderer gemacht - aber auch gradlinig und selbstbewusst.
Die Frau mit den blauen Augen und dem modischen Haarschnitt erzählt offen aus ihrem Leben, meistens strahlend. Auch wenn sie von Traurigem erzählt, wie damals, als ihr Mann plötzlich immer vergesslicher und aggressiv wurde, sein Wesen sich veränderte und er immer öfters weglief. Alles typische Anzeichen von Alzheimer. »Doch wenn man jemanden liebt, will man das nicht wahrhaben«, erzählt Ruth Einenckel.
Mit der für sie typischen Energie fing sie an zu kämpfen, ging von Arzt zu Arzt, suchte Heilpraktiker und Alternativmediziner auf. Doch vor zwei Jahren musste sie schließlich erkennen, dass sie ihn nicht mehr alleine pflegen konnte. Heute lebt Hans-Georg in einem sehr guten sozialpädagogisch geführten Pflegeheim, wo ihn seine Frau täglich besucht - auch jeden Donnerstag nach ihrer Arbeit im Haus der Offenen Tür (HOT).
»Haushalt alleine füllt mich nicht aus,« erzählt Einenckel. Sie war immer berufstätig. Zunächst im Sozial- und später dreißig Jahre lang im Jugendamt. »Aber eine typische Beamtin war ich nie«, sagt sie lacht. »Doch die Arbeit mit Menschen hat mir immer viel Spaß gemacht.« Da lag es natürlich nahe, sich auch nach der Pensionierung für Menschen zu engagieren.
Im HOT bietet sie eine Spielrunde an. In das Begegnungszentrum kommen ältere Menschen, die zumeist noch selbstständig in ihren eigenen Wohnungen wohnen und Gesellschaft suchen. Bei Bildungs- und Kreativangeboten oder in Internetkursen können sie ihre Kompetenzen einbringen und Neues lernen. »Einsamkeit durch Normalität vertreiben«, nennt das Einenckel, die sich wünscht, dass mehr Einsame ins HOT kämen.
Die täglichen Besuche bei ihrem Mann, das bisherige Amt als Schriftführerin beim Seglerclub SCWi, die Unterstützung bei der Seniorenfreizeit ihrer Kirchengemeinde, die Arbeit im HOT und die regelmäßigen Fahrten zu einer blinden Freundin, um dieser unter die Arme zu greifen - für viele wäre das große Pensum der kleingewachsenen Frau wohl zu viel. Doch: »Helfen ist auch immer ein Stückchen Egoismus. Es gibt mir ein gutes Gefühl.« Demnächst würde sie gerne auch noch eine Skat-Runde anbieten. »Aber eine gemütliche! Nicht wie die Männer hier, die immer nur gewinnen wollen«, schimpft sie lachend.
Ihren Lebensabend hatte Einenckel sich anders vorgestellt. Trotzdem fühlt sie sich zufrieden, in der Sicherheit anderen zu helfen - der Sieg über die gemeinsame Einsamkeit.

Artikel vom 09.08.2006