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Uni bringt den Nachwuchs in die Charts

Eigenes Portal: Professoren erforschen, weshalb nicht jeder Musiker ein Michael Jackson wird

Von Hubertus Hartmann
Paderborn (WV). »Tokio Hotel« stürmt die Charts und füllt Konzertpaläste - andere Bands kommen aus ihrem Übungskeller nie heraus. Warum das so ist und weshalb einige Gruppen Erfolg haben, während andere ewig unentdeckt bleiben, das will erstmals ein wissenschaftliches Team der Universität Paderborn erforschen.

Mit einem bundesweit einmaligen Projekt lässt der Fachbereich Medienwissenschaften die deutsche und internationale Musikszene aufhorchen: Professoren schlagen der GEMA ein Schnippchen. Sie haben ein eigenes Portal für Nachwuchsmusiker geschaffen, begleiten wissenschaftlich deren Karrieren, und Studenten betätigen sich als Talentscouts. Mit einer zweistündigen Testsendung trat der »Radical Audio Pool« R.A.P. erstmals in die Öffentlichkeit.
»Es gibt auch in unserer Region jede Menge junger Bands und Musiker, deren Titel noch nicht bei der GEMA gelistet sind«, erläutert Dr. Thomas Strauch, einer der drei Initiatoren. Sie sind das Potenzial, aus dem R.A.P. schöpfen kann.
»R.A.P. ist eine Web-Site mit Datenbank und Streaming-Server. Interessenten können sich also im Internet Musiktitel anhören und auf den eigenen Computer herunterladen. Zusätzlich gibt es einmal im Monat eine Radiosendung, in der Studierende der Medienwissenschaften Praxiserfahrung im Live-Rundfunk sammeln können«, erklärt Strauchs Kollege Michael Ahlers. In jeder Sendung werden neue Titel und Bands vorgestellt. Die Musikfarben genannten Sparten sind »Krach«, »Massengeschmack«, »Elektrokram« und »Beatgeflüster«. Unter der Rubrik Wortsport werden Berichte und Kurzfeatures in die Sendung eingebaut. Als radikal versteht sich dieser Pool, weil es keinerlei Vorgaben zu Stil oder Qualität gibt.
Etwa 200 Musikfans arbeiten an dem Campus-Projekt aktiv mit. Sie haben bereits eine Datenbank erstellt, in der schon 100 Bands aus einem Umkreis von 75 Kilometern rund um Paderborn gelistet sind. »Ich bin wirklich überrascht, wie viele Bands auf hohem Niveau es hier gibt«, staunt Strauch. »Die regionalen Besonderheiten dieser Subkultur wollen wir ebenfalls erforschen.«
Strauch sieht R.A.P. nicht als Konkurrenz zur GEMA, der »Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte«. Man wolle lediglich die Kreativität und den internen Austausch fördern und hoffe, dass einige Gruppen auf diese Weise von der Industrie entdeckt würden. »Aber sie sollen sich unterhalb der kommerziellen Schwelle entwickeln können«, sagt Thomas Strauch. Studierende seien ständig auf der Suche nach unentdeckten Talenten.
Ausgewählten Gruppen wird eine professionelle Studioaufnahme ermöglicht, und Studenten erstellen ein Video. Alle sollen mit den gleichen Chancen ins Rennen gehen. Experten aus der Musikbranche unterstützen die Karriere mit Tipps, was für den Sprung an die Spitze beachtet werden muss.
Agenturen und Plattenfirmen werden die Paderborner Datenbank nutzen, um nach potenziell Erfolg versprechenden oder innovativen Künstlerinnen und Künstlern zu graben.
In der ersten Live-Sendung von R.A.P. präsentierten sechs Moderatoren einen Querschnitt des »kreativen Untergrunds« der Region. Dazu kamen kleine Berichte, in denen lokale Bands vorgestellt wurden, eine Homestory über den Künstler Florian Köhler und das Radiofeature »Mission to Mars«.
»Die Studierenden sind sehr engagiert an die Arbeit gegangen und haben durchgängig sehr gute und kreative Beiträge produziert«, freut sich Dozent Dr. Bernhard Weber. Der reguläre Sendebetrieb startet im September. Der Empfang ist vorerst nur über das Internet möglich.
Entstanden ist das Projekt übrigens durch eines der ältesten Kommunikationsmittel, den »Flurfunk«. Zwischen »Tür und Angel« hatten die Dozenten Thomas Strauch, Bernhard Weber und der wissenschaftliche Mitarbeiter Michael Ahlers die Problematik der Musikrechte diskutiert. Denn schon bei jedem kleinen Jingle kassiert die GEMA mit. Die Musik aus der eigenen Datenbank ist dagegen gebührenfrei.
So profitieren von dem Projekt beide Seiten - die Uni und die Musiker. Vielleicht stehen die Nachfolger von »Tokio Hotel« ja schon in den Startlöchern auf dem Paderborner Campus.

Artikel vom 07.08.2006