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Vision aus den USA bringt das Aus

Serie im ENGERSCHEN ANZEIGER zum 250. Geburtstag der Liesbergmühle - Folge 6

Enger (EA). Seitdem die Menschen als Bauern leben und Getreide anbauen, stehen sie vor der Aufgabe, die harten Körner zerkleinern zu müssen. Ohne Maschinen ist das mühsam. Mühlen nahmen dem Menschen hier viel Arbeit ab - auch die Liesbergmühle gehört dazu. In einer Serie erläutert Christoph Mörstedt, Kulturreferent der Kreisverwaltung Herford, die Geschichte der Mühlen und ihre Entwicklung bis in die Gegenwart. In dem heutigen sechsten Teil geht es um einen Pionier aus Amerika.

Oliver Evans war ein Mann mit Visionen. Der Amerikaner machte sich Gedanken darüber, wie mit geschickt eingesetzter Technik und einer Menge Geld eine Art automatischer Mehlfabrik zu bauen wäre.
Sie sollte ein Vielfaches an Getreide vermahlen können wie die in Europa üblichen Handwerksmühlen. Am Okkoquam-Fluß in Virginia lief um 1800 die erste Mühle der neuen Generation.
In Deutschland kam der Wandel nach dem Zweiten Weltkrieg. Hatten die kleinen Mühlen während der schwierigen Nachkriegszeit die Versorgung der Menschen noch sichergestellt, bekamen sie bald ernsthafte Schwierigkeiten. Energie in Form von elektrischem Strom stand reichlich zur Verfügung - neue Mühlen konnte man also überall errichten. Rücksicht auf die Wasserkraft eines Flusses war nicht mehr notwendig. Getreide wurde in großem Stil per Schiff importiert.
Da lag es nahe, große Mühlen direkt im Hafen zu bauen. Bremen, Duisburg, Köln und Hameln wurden Standorte von Industriemühlen. Sie schafften es, im Jahr mehrere 100 000 Tonnen Getreide zu vermahlen. Ihr Mehl boten sie den Bäckern weitaus günstiger an, als es der kleine Handwerksmüller konnte. Jahrzehntelang sank der Mehlpreis auf immer neue Tiefstände. Und da Mehl ein anonymes Massenprodukt ist, wurde der Wettbewerb ausschließlich über den Preis ausgetragen. Ob auf der Packung »aurora« oder »gut & billig« steht, ist den meisten Verbrauchern auch heute ziemlich gleichgültig.
In der Zeit zwischen 1955 und 1965 verschwand die Handwerksmüllerei fast vollständig. Die verbliebenen Betriebe zahlten im Rahmen von Stillegungsaktionen eine Abgabe, die den »Aussteigern« den Ausstieg erleichterten.
Einige Mühlen hielten sich mit Landhandel über Wasser. Sie stellten noch einige Zeit Futterschrot her. Aber als es unüblich wurde, zu Hause ein oder zwei Schweine zu halten, blieben auch ihre Kunden weg.
Am Ende des sogenannten Mühlensterbens ist von einem jahrhundertealten Gewerbe wenig übrig geblieben. Wirklichkeit geworden ist die Vision des Oliver Evans.
Nächste Folge am 11. August: Wind, Wetter und das Wahrzeichen.

Artikel vom 04.08.2006