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Madrid will die pure Lust am Lesen steigern

Buchverleih in der Untergrund-Bahn der spanischen Metropole - Die Bibliothek kommt zum Kunden

Von Simone Herz
Madrid (dpa). Wenn der Leser nicht zur Bibliothek kommt, dann kommt die Bibliothek eben zum Leser. Nach dieser Idee handelt die Stadt Madrid.
Zwei Kunden besuchen eine BiblioMetro Filiale in einer U-Bahn Station in Madrid.
Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die Lektürelust ihrer Bewohner zu steigern und in Bussen und U-Bahnstationen mobile Bibliotheken eingerichtet. Im Fernsehland Spanien schauen 90 Prozent der Bewohner täglich fern. Dagegen geben gerade 37 Prozent an, regelmäßig zu lesen. Das soll sich nun ändern.
»Wir erreichen die Leute dort, wo sie täglich viel Zeit verbringen«, sagt die Diplom-Bibliothekarin Marta. Sie arbeitet in der BiblioMetro-Filiale in der U-Bahn-Station Canal. Die Filiale ist eines von acht Modulen, die im Juli 2005 eingerichtet wurden. Die BiblioMetros sehen futuristisch aus: Die lang gezogenen, wellenförmigen Glas-Container leuchten in hellem Weiß, »damit die Leute auf uns aufmerksam werden«. Schließlich ist die Zahl der potenziellen Benutzer hoch: Zweieinhalb Millionen Menschen fahren jeden Tag in der Madrider Metro.
Bei Ana hat es funktioniert: »Ich bin ein paar Mal vorbeigelaufen und neugierig geworden«, sagt die Madrilenin. Das war vor sechs Monaten. Seitdem kommt sie regelmäßig vorbei. Die 36-Jährige verbringt jeden Tag eine Stunde in der U-Bahn. »Jetzt kann ich das Angenehme mit der Pflicht verbinden.« Sie liest zirka ein Buch pro Woche - »so viel wie noch nie«. Die Strategie, die Lesefreude zu steigern, scheint Erfolg zu haben.
Ana ist eine von mehr als 25 000 Benutzern, die sich bisher registrieren ließen. »Die tatsächliche Zahl ist noch höher«, sagt Milagros Gosálvez vom Kulturamt Madrids, da auch Ausweise der öffentlichen Bibliotheken gültig sind. »Wir arbeiten daran, noch bekannter und besser zu werden«, betont Milagros. So werden in diesem Jahr noch zwei weitere Stationen eröffnet, eine davon in einem Vorort Madrids.
»Wer einmal da war, der kommt immer wieder«, sagt Marta. In ihrer BiblioMetro verwaltet sie 502 Bücher. Alle Leihstationen zusammen haben 60 000 im Angebot. Pro Modul werden täglich über 40 Bücher ausgeliehen, Leihfristende ist nach 15 Tagen, eine Verlängerung ist erlaubt. Die Auswahl ist groß: Poesie und Horror, Science-Fiction und Bibliografien, Kinderbücher und Klassiker der Weltliteratur finden sich unter anderem in den beleuchteten Regalen. Im Laufe des Jahres kommen weitere 300 Titel dazu. »Nur wenige wollen Tolstoi oder Homer in der U-Bahn lesen«, erklärt Marta. Deswegen werde es mehr Populär-Literatur geben. Der Renner zur Zeit? »La Judía de Toledo« (Die Jüdin von Toledo) des Deutschen Lion Feuchtwanger und »El Poéta« (Der Poet) von Michael Connelly.
Neben den BiblioMetros besitzt Madrid auch Bibliobusse. Sie sind die Pioniere der mobilen Bibliotheken. Die erste Version gab es 1953 in den Vororten Madrids. Heute bringen 13 der umgebauten Busse Bücher zu den Menschen in der Stadt und in die Umgebung. Sie fahren feste BiblioBus-Haltestellen an, wo sie für ein paar Stunden zum Schmökern und zur Ausleihe zur Verfügung stehen. Mehr als 100 000 Menschen nutzen diesen Service in und um Madrid. Im ganzen Land gibt es 65 Bibliobus-Angebote in elf Regionen.
Damit die Zahl der Bibliotheksbenutzer - ob in der Metro, per Bus oder in den den öffentlichen Bibliotheken - weiter steigt, gibt es seit Anfang Juli eine weitere Aktion in Madrid: Im Zuge der Kampagne »Bücher auf die Straße« wurden 22 000 Plakate mit Textauszügen literarischer Werke in den öffentlichen Verkehrsmitteln ausgehängt. Die insgesamt 16 Texte spanischer und internationaler Schriftsteller werden ein Jahr lang Fenster und Wände der U-Bahnen, Busse und Züge schmücken. Sie sollen Lust auf mehr machen. Und wer weiterlesen will, findet sicher eine Bibliothek in seiner Nähe.

Artikel vom 09.09.2006