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1 000 Ärzte
auf der Straße

Mediziner kämpfen für Tarifvertrag

Von Thomas Hochstätter
Bad Oeynhausen (WB). Mit 1 000 Teilnehmern hat die Ärztekundgebung gestern in Bad Oeynhausen die Erwartungen übertroffen. Viele Mediziner sagten während der Dreistundendemo, sie hätten genug Energie, noch lange weiterzustreiken und würden die Besetzung in ihren Kliniken dafür auf den Notfallbedarf herunterfahren.

Reisebusse aus ganz NRW. Trillerpfeifen und Schirmmützen in leuchtendem Orange. Mit Transparenten und Plakaten wie »Medimarkt - Ich bin doch nicht blöd«, »Notarzt für neun Euro« und »Wir fordern ar(z)tgerechte Haltung« zogen die Ärzte vom städtischen Krankenhaus zum Herz- und Diabeteszentrum (HDZ), wo ein Vertreter des Marburger Bundes (MB) eine Resolution übergab, in der ein eigener Tarifvertrag gefordert wird. Allerdings bekam nur HDZ-Pressesprecherin Anna Reiss das Papier in die Hand gedrückt, denn der eigentliche Adressat, Verwaltungschef Prof. Otto Foit, auch Verhandlungsführer der kommunalen Arbeitgeber im Tarifstreit, weilte zu den Gesprächen mit der Gewerkschaft Verdi in Frankfurt. Doch die dortige Einigung auf 40-Stunden-Woche und höhere Beschäftigungsentgelte von bis zu 20 Prozent ab 1. September beruhigte die Demonstranten nicht. MB-Landesverbandschef Rudolf Henke sagte, dass die Ärzte sich von Verdi nicht vertreten fühlten.
Nach der Abschlusskundgebung im Stadtzentrum bildete sich ein »Streiknetzwerk OWL« mit Vertretern aus Bielefeld, Herford, Lübbecke, Gütersloh, Bad Oeynhausen, Minden, Lemgo und Detmold. Wie Dr. Wolfgang Weißenberg (61), Oberarzt der Anästhesie im Klinikum Minden, sagte, sollen so weitere Aktionen in der Region koordiniert werden. In Minden ist der so genannte Vollstreik beschlossen worden. Eine Assistenzärztin (39) aus der dortigen Kardiologie, die ohne eigenen Tarifvertrag für sich monatliche Gehaltseinbußen von 681 Euro brutto befürchtet, sagte, noch sei die Akzeptanz bei Patienten und Bevölkerung gut. Sie rechne allerdings damit, dass dies deutlich schlechter werde, sobald Operationswartezeiten sich verlängerten.
Arndt Middelschulte (31), Assistenzarzt im Inneren der Städtischen Kliniken Bielefeld, ist einer derer, die genau wissen, wofür sie auf die Straße gehen. »Im Schnitt mache ich täglich eineinhalb Überstunden«, erzählt er, »das sind rund 30 im Monat - ohne Vergütung.« Während der Demo trug der junge Vater seine Tochter Charlotte auf dem Arm. »Sie wird im September ein Jahr alt, und sie soll nicht unser einziges Kind bleiben.« Er habe gewusst, dass sein Beruf auf Kosten der Familie gehe, »aber es stinkt mir, dass das nun noch weniger honoriert werden soll«. Für jemanden wie ihn und seine Frau Christiane, beide in der Region verwurzelt, bestehe nur theoretisch die Alternative, ins Ausland zu wechseln. »Wenn das an den Kliniken nicht besser wird, werde ich wohl eine eigene Praxis aufmachen«, sagt er. Da wisse man wenigstens, wofür man arbeite.

Artikel vom 02.08.2006