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Nachtigall-Gesang »bändigt« 12-Zylinder

Faszinierende Lichtspiele in der Dämmerung krönen phantasievolle Kunstwelt von Vörden

Von Harald Iding (Text und Fotos)
Vörden (WB). Die »Waffen« bei diesem »Duell« konnten unterschiedlicher nicht sein: der eine kämpfte mit seiner geschulten Stimme und der andere bediente sich der Kraft von 173 Pferdestärken und dem tiefem Atem eines »12-Zylinders«.

Mensch gegen Maschine -Ê Maschine gegen Mensch. Am Ende blieb es offen, wer nun klarer Sieger bei diesem ungleichen Kampf wurde. Dieses ungewöhnliche »Kräftemessen«, so der Titel der Performance, erlebte im Luftkurort Vörden seine Weltaufführung. »Was macht denn der große Bundeswehr-Kranwagen vor dem Brunnen« fragte eine Vierzehnjährige verdutzt ihre Mutter. »Weiß ich auch nicht genau, hat wohl irgend etwas mit dem Thauern und seinem Gesang zu tun«, lautete ihre Antwort. Und sie stand sicherlich nicht allein da mit einer großen Erwartungshaltung, was denn nun in den nächsten 20 Minuten für ein Spektakel zu erwarten sei.
Kunst muss man nicht immer gleich verstehen, sondern erst einmal erleben -Êdieser Grundsatz traf auch für das herausragende Projekt »Leit-Bilder -ÊBild-Leiter« des Heimat- und Kulturvereins Marienmünster zu, das basierend auf der Idee des heimischen Künstlers Wolfgang Göllner zwei Tage lang die Besucher des nunmehr dritten Kunstfestes in den Luftkurort Vörden lockte.
Für die 34-jährige Tanja Reinhardt, die dem Stück mit ihrer klaren Stimme eine besonders feine Note verlieh, war es der erste öffentlicher Auftritt.
Quasi als Einleitung, also als ob sich ein Vorhang öffnete, erzählte sie von der Flut der Bilder, die auf einen eindringen. »Wer kann sagen, wo der richtige Weg entlang läuft? Wenn das Leben selbst verrückt scheint, wer will dann sagen, wo der Wahnsinn liegt? In Deiner Mitte steht ein großer Wille, noch betäubt. Erwecke ihn, er kann Dir Leitbild sein!«
Ruhig, voller Poesie und mit feiner Akzentuierung gab Tanja Reinhardt der Performance die passenden Einstimmung.
Dann kam Georg Thauern ins Spiel, beziehungsweise auf die Bühne, direkt bis zum schwarz-grünen Ungetüm -Êimmer eine große durchsichtige Kugel in den Händen haltend, die er zum Schluss auf ein weiches Kissen direkt auf der großen Motorhaube ablegt. Der 38-Jährige beginnt mit einem Kanon. Es ist der Gesang der Nachtigall in Noten«, betont er später im Gespräch mit dieser Zeitung. Thauern befindet sich bei diesem Projekt zum ersten Mal in einer ungewohnte Rolle -Êdenn er ist nicht nur Schauspieler und Sänger, sondern auch Dramaturg und Regisseur in einer Person.
Das Risiko, das jeder Künstler eingeht, der hofft, dass sein Werk nicht unverstanden bleibt, nahm Thauern gerne in Kauf. »Ich bin hier doch zu Hause und spiele sogar direkt vor der Haustür meines ehemaligen Elternhauses. Das ist doch mein Revier - da kann mir wirklich nichts passieren!«
Mutig stellt sich Thauern im Gesang dem PS-Koloss, der fauchend seine Arme ausstreckt. Auf den Flanken und dem ausfahrbaren Kran sind mit Kreide Textsequenzen geschrieben. Aber der mutige Kämpfer lässt sich nicht unterkriegen, setzt sich am Ende sogar lächelnd in eine am Kran befestigte Schaukel und triumphiert zufrieden.
Ja, so kann das Leben spielen - wer zuletzt lacht, der lacht am besten.
Wolfgang Göllner hat den beiden Akteuren Georg Thauern und Dipl.-Ing. Christian Habke (am Steuer bei diesem »Kräftemessen«) freie Hand bei der Ausgestaltung gelassen. Es ist ein Experiment geworden, das Lust auf mehr macht. Denn diese Aufführung hätte auch gut und gerne vor einem noch größeren Publikum bestehen können. Lässt man die Phantasie spielen, öffnet sich der Welt der Kunst und schaut auch mal über den eigenen Tellerrand, dann entdeckt man als Besucher ganz neue Ebenen. »Und allein dieser Schritt würde mich schon sehr glücklich machen«, sagte Göllner dem WESTFALEN-BLATT. Der positive Effekt dieser Symbiose, die zugunsten des dritten Kunstfestes von vielen Beteiligten eingegangen worden ist, wirkt bestimmt noch lang nach. Auch die Illumination der Werke in der Niedernstraße wirkte anziehend und bewies einmal mehr, dass es eben eine »reine Ansichtssache« ist, wie man die Dinge des Lebens -Êund dazu zählt auch die Kunst - wahrnimmt. Das Fest des Heimat- und Kulturvereins Marienmünster wurde zu einem Erfolg auf allen Ebenen.

Artikel vom 01.08.2006