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Durchs Tal des Todes
zum Endorphin-Koller

Oliver Arndt gewinnt Ultralauf über 160,9 Kilometer

Von Gunnar Feicht
Steinhagen (WB). »Als ich wusste: ÝJetzt schaffst Du'sÜ, sind mir auf den letzten drei Kilometern fast die Tränen gekommen. Die letzten Meter ins Ziel unter dem Beifall der Leute, das war wie ein Endorphin-Koller.« Oliver Arndt fühlte sich von Glücksgefühlen übermannt, als er es tatsächlich gepackt hatte: 100 englische Meilen im Laufschritt, 160,9 Kilometer in fast 24 Stunden nonstop - der Ultralangstreckler vom LC Solbad Ravensberg feierte beim Sibbesser Tag-und-Nacht-Trail seinen bisher größten Triumph.

Hansi Köhler, der Veranstalter der sportlichen Extremprüfung im Kreis Hildesheim, hatte 17 Ausdauer-Spezialisten zum »STUNT 100« eingeladen. 13 gingen Samstag um 8 Uhr auf die Strecke, nur sieben kamen bei bis zu 32 Grad Hitze ins Ziel - und Arndt erreichte den Sportplatz des kleinen Örtchens nach 23:51 Std. als Erster, als einziger in weniger als 24 Stunden und mit anderthalb Stunden Vorsprung auf den zweitplatzierten Jens Vieler aus Hagen. »Das ist sicherlich mein größter Erfolg, aber die Platzierung betrachte ich als sekundär. Die Bezeichnung ÝLauf unter FreundenÜ, die die Ausschreibung gewählt hat, ist wirklich zutreffend«, sagt Oliver Arndt.
Denn die Dauerbelastung von bis zu 34 Stunden (so lange brauchte der letzte Finisher Davor Bendin) ist mit der Hetzjagd von ambitionierten Volksläufern nicht zu vergleichen. »Das ist kein Wettkampf gegeneinander, sondern die Teilnehmer helfen sich untereinander, einer muntert den anderen auf.« Denn alle haben bei dieser Härteprüfung über Stock und Stein, über Feld- und Waldwege und durch stockfinstere Nacht nur ein gemeinsames Ziel: ankommen!
Was treibt Hobbyjogger oder Volksläufer, sich derart extremen Belastungen zuzuwenden? Oliver Arndt ist alles andere als ein weltfremder Sonderling: Der 34-Jährige, in Steinhagen groß geworden, lebt mit Frau und Sohn in Bochum, steht am Arbeitsplatz seinen Mann, bringt es auf ein eher bescheidenes Trainingspensum von 60, 65 Kilometer pro Woche. »Mich faszinieren die Ultradistanzen, weil vieles Kopfsache ist: Nur wenn körperliche und geistige Leistungsfähigkeit die richtige Kombination eingehen, sind die Herausforderungen zu bewältigen.« Und - was angesichts winziger Teilnehmerfelder kurios klingt: »Beim Stadtmarathon starte ich unter 20 000 Menschen und bin in der Masse trotzdem alleine. Ultraläufe sind in dieser Hinsicht längst nicht so anonym, weil man alle Teilnehmer kennen lernt, mit vielen interessanten Menschen zusammentrifft.«
So wie beim »Stunt 100« mit dem US-Amerikaner Russ Kline, der 80 Kilometer lang Arndts »ständiger Begleiter« an der Spitze war, dann aber nach 145 Kilometern aufgeben musste, weil der Magen seinen Dienst einstellte. Oder Vorajhressieger Franz Häusler, der beim Trans-Europa-Run in gut 60 Tagen von Lissabon nach Moskau gelaufen ist. »Das ist wirklich ein Tier«, zollt ihm die Ulstraszene Anerkennung. Doch in Sibbesse stieg er in der drückenden Hitze des Spätnachmittags nach gut der Hälfte aus.
Oliver Arndt blieb auf Kurs: »Hitze macht mir wenig aus.« Doch zwei tote Punkte hatte auch er: »Zwischen Kilometer 85 und 90, später dann bei 125 war mir richtig übel. Der Magen bekommt halt Probleme, wenn man knapp einen Liter pro Stunde trinkt.« Dank der Erfahrungswerte, dass es mit Cola in kleinen Schlucken und dem festen Willen zum Durchhalten wieder besser wird, überstand Oliver Arndt auch diese Klippe. Ebenso wie die nahezu schattenlosen 13 Kilometer, die der Veranstalter schon düster als Death Valley, das Tal des Todes, angekündigt hatte ...
Bisher war Oliver Arndt bei drei Wettkämpfen je 100 km »am Stück« gelaufen - und keinen Meter länger. Selbst überrascht war er deshalb, dass ihm die letzte 17-km-Runde in einem Gefühl der Euphorie sogar fast leicht fiel. Und dass er tags darauf kaum Schmerzen in den Beinen spürt, mag man kaum glauben: »Ein Marathon auf Bestzeit, der belastet die Muskeln wirklich mehr...«

Artikel vom 01.08.2006