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Ein Tisch, zwei Stühle
und ganz viel Wortgewalt

Rüdiger Paulsen entführt in die Welt der Balladen

Von Antje Kreft (Text und Foto)
Borgholzhausen (WB). »Mit einem solchen Wahnsinnszulauf haben wir nicht gerechnet«, freute sich Wolfhart Kansteiner, Geschäftsführer der Stiftung Burg Ravensberg, am Samstagabend. Etwa 100 Interessierte hatten sich zur Burg aufgemacht, um Rüdiger Paulsen zu lauschen und zuzuschauen. Wortgewaltig präsentierte dieser sein Balladenprogramm.

Rüdiger Paulsen betritt die Bühne, die Terrasse vor dem Ravensberger Klassenzimmer. Er beginnt seine Rezitation von Conrad Ferdinand Meyers »Die Füße im Feuer«. Keine Minute später stockt er. Ein Hänger!? Das darf doch nicht wahr sein. Kein Hänger. Der 55-Jährige löst die Situation auf: »Der Hänger ist mir vor Jahren tatsächlich passiert. Und hat mir so viel Aufmerksamkeit wie noch nie beschert. Seither gehört er als dramaturgisches Element zum Programm.«
Der erste kulturelle Abend vor dem Ravensberger Klassenzimmer beginnt gemütlich. Die Gäste kommen an der Burg an, stärken sich bei kühlen Getränken und an einem Büfett. »Ein bisschen sind wir im Stress, da mehr Besucher gekommen sind als erwartet. Aber wir schaffen das, wir können gut improvisieren, begrüßt Wolfhart Kansteiner die Gäste. Viele fleißige Hände packen mit an. Die Terrasse wird nach dem Essen kurzerhand zum Zuschauerraum umfunktioniert. Rüdiger Paulsen genügen wenige Meter der Terrasse, darauf ein Tisch, zwei Stühle, ein Stehpult, ein Glas, ein Becher und eine Flasche Wein. Zunächst entführt er seine Publikum ins 18. Jahrhundert, in die Welt von Friedrich Schiller. Bei »Der Handschuh«, »Der Taucher« und »Die Kraniche des Ibykus« testet mancher Zuschauer die eigenen Rezitierkünste, indem er die Sätze leise vor sich hinspricht.
Nach einer Pause geht es ins 15. Jahrhundert zu François Villon - »der sein Leben lang gestohlen, gedichtet und gehurt hat«. Die Geschichte des »größten Dichters des französischen Mittelalters« zeichnet Paulsen - szenisch meisterhaft umgesetzt - in elf Balladen nach. Und zeigt mit der »Sommerballade der armen Leute« die gefühlvolle Seite Villons. Eine Ballade ist Paulsen seinem Publikum zum Schluss noch schuldig geblieben: »Die Füße im Feuer«. Das holt er nach - ohne Hänger. Applaus - minutenlang. Bei seinem nächsten Auftritt in Borgholzhausen kann er getrost auf seinen inszenierten Hänger verzichten. Die ungeteilte Aufmerksamkeit der Piumer ist ihm auch ohne Hänger gewiss.

Artikel vom 31.07.2006