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300 000 Arbeitslose weniger

Forscher: Die sich bessernde Konjunktur schafft in Deutschland Stellen

Nürnberg/Düsseldorf (dpa). Angesichts der sich bessernden Konjunktur erwarten Arbeitsmarktforscher für das Gesamtjahr 2006 einen deutlich stärkeren Rückgang der Arbeitslosenzahl als zunächst angenommen.
Aller Voraussicht nach werde der Durchschnittswert um 300 000 auf 4,56 Millionen sinken, berichtete das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer gestern in Nürnberg veröffentlichten Studie. In früheren Prognosen war das IAB lediglich von einem Rückgang von etwa 40 000, später von knapp 200 000 Arbeitslosen ausgegangen.
Vor allem für das zweite Halbjahr rechnen die Experten mit einer kräftigen Belebung am Arbeitsmarkt. Langzeitarbeitslose würden von dieser Entwicklung allerdings kaum profitieren.
»Die positiven konjunkturellen Impulse werden zwar stärker, sie gehen aber an den Langzeitarbeitslosen weiterhin vorbei«, betonte der IAB-Experte Hans-Uwe Bach. So habe bereits im ersten Halbjahr die Zahl der Arbeitslosengeld-II-Bezieher durchweg bei 2,9 Millionen stagniert. Dagegen sei die Zahl der Arbeitslosengeld-I-Bezieher von Januar bis Juni um 400 000 auf 1,5 Millionen gesunken.
Für 2007 rechnet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hingegen mit einer Abschwächung der positiven Arbeitsmarkt-Entwicklung. Das erwartete Wirtschaftswachstum von nur noch 1,25 Prozent nach 1,75 Prozent in diesem Jahr stelle für den Stellenmarkt ein Risiko dar.
Die Arbeitsmarktforscher gehen davon aus, dass vor allem die Mehrwertsteuererhöhung zum Jahresbeginn 2007 die Nachfrage dämpfen werde. Auch werde der für die zweite Jahreshälfte 2006 erwartete Vorzieheffekt fehlen. Dies könnte dazu führen, dass 2007 die Zahl der Stellen mit Sozialversicherungspflicht wieder sinke.
Die Arbeitslosigkeit im Osten geht den Angaben zufolge unterm Strich derzeit etwas stärker zurück als im Westen. Grund dafür sei etwa das verstärkte Angebot von Arbeitsgelegenheiten wie Ein-Euro-Jobs, die Abwanderung in den Westen und die demographische Entwicklung.
Für den Juli erwarten Fachleute steigende Arbeitslosenzahlen. Volkswirte gehen davon aus, dass in dem Sommermonat ungefähr 4,48 Millionen Männer und Frauen ohne Arbeit waren - und damit 80 000 bis 90 000 mehr als im Juni. Die offiziellen Zahlen will die Bundesagentur für Arbeit (BA) heute in Nürnberg bekannt geben. Zur Begründung verweisen die Fachleute auf die üblichen saisonalen Effekte zu Beginn der Sommerferien. Viele Unternehmen verringerten für gewöhnlich während der Werksferien oder über die Sommerpause ihre Stammbelegschaften.
Bei den Lohnkosten nimmt Deutschland nach Erkenntnissen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI/Düsseldorf) eine Sonderrolle ein. Diese seien nämlich innerhalb der Europäischen Union am geringsten angestiegen.
Für 2006 sei in Deutschland nur ein Plus von 0,8 Prozent zu erwarten, während im EU-Durchschnitt ein Anstieg um 2,8 Prozent zu verzeichnen sei, teilte das Tarifarchiv des WSI in Düsseldorf mit. Das Institut hat für seinen »europäischen Tarifbericht« die aktuellen Prognosedaten der Europäischen Kommission ausgewertet. Zu den Lohnkosten zählen neben Löhnen und Gehältern auch die Lohnnebenkosten für Sozialbeiträge.
Nach Ansicht des WSI-Tarifexperten Thorsten Schulten kann die lohnpolitische Sonderrolle Deutschlands »für ganz Europa zu einer zunehmenden ökonomischen Belastung« werden. »Es besteht die Gefahr eines europaweiten Absenkungswettlaufs um die niedrigsten Lohnkosten«, sagte Schulten. EU-Spitzenreiter beim Anstieg der Lohnkosten ist Lettland (14,4 Prozent) gefolgt von Estland (12,0). Auch Griechenland (5,9), Irland (5,0) und Großbritannien (4,3) weisen einen überdurchschnittlichen Zuwachs auf.

Artikel vom 01.08.2006