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Ein Pils dauert bei Willi
noch sieben Minuten

»Türmer«: Pächterehepaar Werner denkt ans Aufhören

Von Wolfgang Wotke
Gütersloh (WB). Von wegen »Schnellzapfanlage«! Bei Willi Werner vom »Türmer« dauert ein gutes gezapftes Pils sieben Minuten. »Die weiße Schaumkrone muss verlocken. Die Trinktemperatur sollte sechs bis neun Grad Celsius betragen«, rät der erfahrene Gastronom.

Doch Vorsicht! Werde das Bier zu lange gezapft, »wird es warm und die Kohlensäure entweicht.« Willi weiß es eben ganz genau. Der 63-jährige Pächter des »Türmer« an Königstraße ist immerhin mehr als 45 Jahre im Geschäft. Doch bald soll endgültig Schluss sein. Zusammen mit seiner Ehefrau Jutta (56) hatte er 20 Jahre lang den »Türmer« bewirtschaftet. »Am 1. September 2007 läuft unser Pachtvertrag aus. Doch wenn wir einen geeigneten Nachfolger schon Morgen finden sollten, gehen wir sofort«, sagt Willi Werner. Eine überstandene Krankheit hat seinen Entschluss bekräftigt.
Jeder Gütersloher kennt ihn, den »Türmer«, der am 20. April 1872 (erste Schankerlaubnis) von Carl Surenhöfer gegründet wurde. Damals stand dort noch ein Fachwerkhaus, das kurze Zeit später abbrannte. 1899 wurde es neu aufgebaut und sieht fast noch so aus wie vor mehr als 107 Jahren. Unverwechselbar ist das kleine Türmchen, direkt über dem Haupteingang. »Diese Kneipe gehört zur Geschichte Güterslohs«, berichtet Willi Werner. Die traditionelle Wein- und Bierstube in der Nähe der Stadthalle wird bis heute von den Gästen geschätzt. Nach einem Theater- oder Konzertbesuch trifft man sich im eben »Türmer«. Dort hält das Wirteehepaar gepflegte und erlesene Tropfen in der separaten Weinstube bereit. Vorne im Thekenraum gibt es das »kühle Blonde«, ebenso im Gastraum nebenan. Jutta Werner sorgt für das leibliche Wohl mit leckeren Kleinigkeiten. Sie nennt sie kurz und knapp »Theaterküche«. Weil man danach immer ein wenig Hunger verspürt. Ihre Spezialität: Krabben-Brote. Sie gibt es auf Toast, mit und ohne Spiegelei, auf Salat, mit Avocados, auf Reibekuchen oder in der Spinatpfanne mit Käse überbacken. Doch wer glaubt, dass im Hintergrund Musik zu hören ist, der irrt gewaltig. Willi Werner, der nur im Dienst ist, wenn er einen Schlips trägt, sagt: »Hier hat es noch nie eine Musikanlage gegeben. Auch das hat Tradition.«
Die Schauspieler Nadja und Walter Giller, Heinz Drache, Thomas Fritsch, Rolf Zacher oder Dieter-Thomas Heck haben schon alle im Türmer gesessen und sich in das Gästebuch eingetragen. Waltraud »Puttchen« Surenhöfer, die vor Willi Werner jahrelang hinter dem Tresen stand, kann sich sogar noch an den berühmten russischen Bürgerrechtler Lew Kopelew erinnern, der im »Türmer« seinen Wein trank.
Eigentlich hat die berufliche Karriere von Willi Werner schon als kleiner Junge in seiner Geburtsstadt Hamburg begonnen. Sein Großvater war der Inhaber des Landungsbrücken-Restaurants, dass dann von seinem Vater Willy (»mit Ypsilon«) weitergeführt wurde. »Ich habe da als Kind mithelfen müssen und wusste, dass ich später in die Gastronomie gehen würde«, verrät Werner.
1967 zog es ihn ins Ostwestfälische. Ein Jahr später arbeitete er im heute noch bestehenden Motel in Wiedenbrück. »Dort wurde ich von den Gästen zum Kellner des Jahres gekürt.« Nach sieben Jahren ging er ins Schlosshotel Surenburg nach Riesenbeck. Im Januar 1978 zog es ihn dann für zehn Jahre in das »Coq d'Or« nach Marienfeld, bevor er am 28. August 1987 den »Türmer« übernahm. Mit dem Gedanken ans Aufhören haben sich Willi und Jutta Werner schön länger befasst. »Wir wollen jetzt auch unser Enkelkind genießen«, sagen beide mit ein wenig Wehmut in der Stimme. Immerhin durften sie eine der ältesten Gaststätten Gütersloh 20 Jahre lang führen. Beide wollen den »Türmer« in guten Händen wissen: »Zusammen mit der Inhaberfamilie Surenhöfer suchen wir einen geeigneten Nachfolger.«

Artikel vom 27.07.2006