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Eintauchen ins Mittelalter der Canossa-Zeit

Band versammelt gesamtes Wissen

Von Klaus Zacharias
Paderborn (WV). Große historische Ausstellungen wie derzeit »Canossa« in Paderborn bedürfen nicht nur umfangreicher logistischer Vorbereitungen über Jahre hin, sondern auch wissenschaftlicher Aufarbeitung durch Vortragsveranstaltungen oder Symposien.

Letztere wollen dem interessierten Publikum oder auch den Fachkollegen Einführungen oder Darstellungen zum aktuellen Forschungsstand anbieten oder Anregungen zur weiteren Aufarbeitung der Thematik geben. So wurde die Paderborner Ausstellung durch eine öffentliche Vortragsreihe »Auf dem Wege nach Canossa« vorbereitet. Schon im Jahre 2004 beschäftigte sich ein wissenschaftliches Symposion in Paderborn mit dem Spannungsfeld zwischen regnum und sacerdotium, also mit dem Problem, das vor fast 1000 Jahren im »Investiturstreit« seinen Höhepunkt mit einer weltgeschichtlichen Weichenstellung finden sollte.
Damals erörterten einige der bekanntesten Mediävisten den wissenschaftlichen Forschungsstand. Ihre Referate sollten später einem größeren Interessentenkreis durch eine eigene Publikation zugänglich gemacht werden, was jetzt rechtzeitig zur Eröffnung der Ausstellung in Paderborn geschehen ist.
In dem voluminösen Tagungsband sind 30 Referate abgedruckt, die die ganze Spannweite dieser Epoche ausleuchten. Natürlich werden mit Papst Gregor VII., König Heinrich IV. und Markgräfin Mathilde von Tuszien die Hauptbeteiligten vorgestellt, aber auch deren »Umfeld« wie die Normannen in Süditalien, die Wurzeln des Investiturstreits und dessen öffentliche Wahrnehmung, die cluniazensische Reformbewegung, der sächsische Aufstand gegen den König sowie die Rolle der damaligen Bischöfe werden untersucht. Beleuchtet werden aber auch der Burgenbau, die Kunst zum Beginn der Romantik, die Mission in Skandinavien und der Städtebau, mit dem eine bürgerliche Emanzipationsbewegung einherging. Am Ende des Bandes findet man einen Aufsatz zur Situation in Mailand am Ende des 11. Jahrhunderts, einer Stadt, die geradezu zu einem Symbol des Investiturstreits geworden war. Schließlich kommen auch Archäologen mit ihren Grabungsergebnissen in den westfälischen Domburgen, die sich bald zu Städten ausweiteten, zu Wort.
Wenn es eines kritischen Wortes bedarf, so bezieht sich dieses auf einige Abbildungen (zum Beispiel auf Seite 228), die in der publizierten Weise nicht hilfreich sind. Insgesamt aber ergänzt der Symposionsband den Ausstellungskatalog, so dass man mit den beiden Bänden einen ausgezeichneten Überblick über den derzeitigen Wissensstand zu einer weltgeschichtlichen Epoche besitzt.
Jörg Jarnut, Matthias Wemhoff(Hg.),Vom Umbruch zur Erneuerung? - Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert - Positionen der Forschung, Wilhelm Fink-Verlag München 2006, geb., 640 S., 49,90 Euro (Reihe: Mittelalterstudien des Instituts zur Interdisziplinären Erforschung des Mittelalters und seines Nachwirkens, Paderborn, Band 13)

Artikel vom 29.07.2006