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Oma Stedtfeld aus
dem Stadtmuseum

Luzie Göhlsdorf bringt Kindern Geschichte Nahe

Von Catarina Hofmann
Gütersloh (WB). Mit Hut und Handtasche ausgestattet - so kennen die jungen Besucher des Stadtmuseums »Oma Stedtfeld«, die eigentlich Luzie Göhlsdorf heißt.

»Es gab keinen Lärm von Radiomusik. Abends saßen alle um die Petroleumlampe und erzählten von ihrem Tag. Der Vater spielte Mundharmonika. Jeder war neugierig von dem anderen zu hören, was er zu erzählen hatte. Das beste Bett wurde vermietet. Gewaschen haben wir uns an der Pumpe auf dem Hof. Das war eiskalt.« So erzählt die Oma Stedtfeld mit Hut, Umhängetuch und Handtasche verkleidet als die letzte Bewohnerin des Hauses, das heute das Museumscafè beherbergt.
Im Rahmen einer von der Stadt-Stiftung ins Leben gerufenen Rallye erzählt die sympathische 78-Jährige mit den großen blauen Augen einer zehnköpfigen Kindergruppe, wie die Menschen früher gelebt haben. Sie erzählt es so, als sei sie die Marktfrau Stedtfeld, die mit ihrer Schubkarre das Gemüse sehr früh zum Markt fuhr, wo die Dienstmädchen der feinen Herrschaften einkaufen gingen. Ihr Mann war Viehhändler, betrieb das Schlachthaus. Die Kinder sammelten Früchte, Holz zum Heizen, Pfefferminze und Löwenzahn. Eine gehäkelte Puppe war damals so ein Geschenk wie heute ein Barbiehaus. Eine Hose war für Sonntags, eine für die Woche. Man hatte nichts, aber man musste auch nicht auf so viel aufpassen.
Frau Stedtfeldt, die eigentlich Luzie Göhlsdorf heißt, versucht den Kindern die Zeit von früher nahe zu bringen. Zum Abschluss gibt es einen Sahnebonbon für jedes Kind aus der Handtasche, wie es die Großmütter früher noch hatten, als ein Sahnebonbon noch etwas Besonderes war.
»Kann ich zwei?«, ruft ein kleiner Vorlauter. Die Zeiten haben sich verändert. Luzie Göhlsdorf lächelt. Sie antwortet dem Kleinen freundlich aber bestimmt »Nein, manche Tage kommen bis zu 100 Kinder. Die möchten alle ein Bonbon haben.« Sie strahlt eine große Offenheit und Toleranz aus. Woher kommt das?
Sie erzählt aus ihrem Leben. »Mit 16 war ich total verknallt. 1946 habe ich geheiratet, das erste Kind kam mit 17 Jahren, vier Jahre später danach das zweite.« Die erste Wohnung ohne Wasser, ohne Bad, nur zwei Zimmer. Dann selbst gebaut. Um die 20 Mark Miete zu sparen, zogen sie in ein halbfertiges Haus. 1958 das erste Auto, der erste Urlaub. Im einfachsten Zelt. Ein Leben lang immer Hausfrau. Der Mann wollte das so. Die Frau gehört ins Haus, er habe aber auch die Hausfrauenarbeit anerkannt, so Göhlsdorf.
Das italienische Bibione wurde zu ihrem Lieblingscampingplatz. Die Silberhochzeit feierten sie mit einem Zweijährigen: mit 40 stellte sich ein dritter Sohn ein. Ihr Mann arbeitete bis 1987. Von da ab unternahmen sie zusammen große Reisen. Zuerst bereisten sie die Inseln. Zwei Söhne heirateten Inderinnen. Ihr Mann starb 1998.
Noch in der Trauerzeit hörte sie vom Angebot, im Museum zu arbeiten. Ihre erste Steuererklärung erledigte sie allein. Nach dem das geschafft war, wagte sie sich an das erste Abenteuer allein: Dreieinhalb Wochen Australien-Rundreise (und das mit 70 Jahren). Jetzt arbeitet sie zwei bis dreimal in der Woche im Museum, macht dort Aufsicht, Kasse, Führungen, springt auch mal für einen Kindergeburtstag ein. Aber das nicht allein. Der Diakonie hilft sie bei der Sonntagsrunde und dem Trödelmarkt, der zweimal im Monat stattfindet. Zudem gibt sie Computerkurse für Senioren. Und als ob das alles nicht genug wäre, hilft sie einmal pro Woche im Gütersloher Stadtarchiv aus.
Die ganze Welt hat sie bereist. »Am schönsten war die Wüste. Der Sternenhimmel dort. Man hat gar keine Angst dort nachts allein zu sein. Daran denkt man gar nicht. Es ist einfach nur schön«, erzählt Luzie Göhlsdorf begeistert. »Es gibt kaum einen Flecken Erde, den ich noch nicht bereist habe«, erzählt sie lächelnd, als sähe sie sich selbst beim Erzählen an den schönen Orten der Welt, die sie für sich entdeckt hat. Amerika, Island und immer wieder Indien . . . Hier liegt das Geheimnis ihrer Weltoffenheit: Toleranz. Sie erzählt begeistert von der Hochzeit des Jüngsten in Delhi. Aber jetzt geht es erstmal nach Irland, wie immer allein. Weitere Pläne? Vietnam kennt sie noch nicht und einmal mit der Transsibirischen Eisenbahn fahren, das möchte sie auch noch.

Artikel vom 24.07.2006