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Aus Traumwelten aufs
Pflaster der Realität

Michael Ehnert eröffnete Libori-Nachtkabarett

Von Rainer Maler (Text und Foto)
Paderborn (WV). Traditionell begleiten Kabarettisten im »Raum für Kunst« die Libori-Woche, und mit einem Auftakt nach Maß setzte der Hamburger Michael Ehnert Akzente.

Der Enddreißiger, ein »Weder-Noch-Mann« auf der Suche nach seinem Standpunkt, schafft es mit seinem aktuellen Programm »Mein Leben« mühelos, knapp zwei Stunden zu amüsieren und trotzdem zur Nachdenklichkeit anzuregen. »Mein Leben«, 2005 mit dem »Prix Pantheon« und dem »Deutschen Kabarettpreis« ausgezeichnet, glückt die Gratwanderung zwischen dramatischem Kabarett und Comedy. Ein Soloprogramm birgt immer die Gefahr, nach einem furiosen Start in die Banalität der Wiederholung abzustürzen. Die meisten Lebensbeichten sind eher langweilig, gerade auf der Bühne.
Michael Ehnert aber parliert mit autobiographischem Theater und einer Lebensbeichte aus erster Hand. Geleitet von seinen Filmhelden Sylvester Stallone, Gary Cooper und Marlon Brando düst der mit einem Geburtstrauma, wie eine Schamanin herausfand, behaftete Kabarettist mit Tempo 200 durch Kindheit und Adoleszenz bis zu den ersten kläglichen Versuchen als Schauspieler.
Als junger Wilder gestartet, wird die seelische Wiedervereinigung mit seinen Alter Egos auch zu einer Bestandaufnahme der politischen Verhältnisse der 80er und 90er Jahre in Deutschland. War die Wiedervereinigung ein Hollywood-Film, gibt es demnächst »DDR Teil 2« mit Happy End? Das Leben begegnet dem Zuschauer als Second-Hand-Ereignis und jedes Mal, wenn sich der Held Ehnert der Welt einer Hamburger Vorstadt stellt, gibt es »auf die Fresse«.
Der Actionheld Ehnert verwechselt »High Noon« um 12 Uhr mittags mit einem Welterrettungprogramm und wird gnadenlos ausgeknockt. Die Angst vor der Spießerexistenz - »Bin ich ein Spießer, weil ich keine primären Geschlechtsmerkmale in Olivenöl brate? und stattdessen mit einem Bandscheibenvorfall im Kernspintomograph lande?« -Êführt zur Erkenntnis, dass das Leben ein Durchmarsch Richtung Bedeutungslosigkeit ist. Ein Normalo kommt in der Wirklichkeit an, der Kabarettist als Scharfschütze ist immer auch gleichzeitig das Einschussloch, tot durch Normalität.
Ehnert exerziert auf der Bühne eine knallharte Abrechnung mit seinem Leben. Den Weg zu sich selbst, den Sturz des Supermanns der Actionfilme aus Hoffnungen und jugendlichen Träumen auf das Pflaster der Realität, spielt Ehnert tiefgründig und im Laufe des Abends zunehmend reflektierter. Am Ende stellt der Held fest, dass das Gegenteil von Liebe nicht Hass, sondern Angst heiße. Es wurde ruhig im Raum, die Haltbarkeit der Wörter war abgelaufen und als offene Frage verabschiedete sich Michael Ehnert unter anhaltendem Beifall vom Publikum.

Artikel vom 24.07.2006