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Der kleine Kiosk hat Geburtstag

Seit 50 Jahren steht eine Info-Börse aus Holz an der Carl-Bertelsmann-Straße

Von Stephan Rechlin (Text)
und Wolfgang Wotke (Fotos)
Gütersloh (WB). Niemals. Nie und nimmer wollte sich Brunhilde Fortenbacher (63) in den kleinen Kiosk ihres Mannes Wolfgang stellen. »Den werden wir verkaufen«, hatte sie ihm gesagt, bevor er 1996 überraschend starb. Nun steht sie doch drin, ist seit 30 Jahren die Seele des Geschäftes. Gedruckte Informationen gibt es an der Ecke Carl-Bertelsmann-/Verler Straße sogar schon seit 50 Jahren.

Zunächst lagen an dieser Stelle Fleisch und Wurst in der Auslage. Strothenke hieß der Metzger, der sein kleines Geschäft in den fünfziger Jahren aufgab. Seit 1956 wurde der Verkaufsstand als Zeitungskiosk genutzt. Nicht sofort von Hermann Fortenbacher und einer Frau Grete. Die beiden stiegen erst etwas später ein, blieben aber solange am Ball, dass der Kiosk heute untrennbar mit dem Namen Fortenbacher verbunden ist. Wolfgang und Brunhilde Fortenbacher folgten 1976.
In dieser gemeinsamen Zeit hat Brunhilde Fortenbacher sehr genau kennengelernt, was sie später ablehnte. Kioskbetrieb ist Dienstleistung pur. Ist Ladenöffnungszeit von morgens fünf bis abends acht. Am Heiligen Abend bis 18 Uhr, Silvester bis 20.30 Uhr, manchmal auch länger. Ist unerträgliche Hitze im Sommer, klirrende Kälte im Winter (dann stellt sich Brunhilde Fortenbacher immer einen kleinen Gasofen in den Kiosk). Ist das Risiko von Einbrüchen, das mit Sunny, einer Mischung aus Münsterländer und Terrier, inzwischen deutlich reduziert wurde. Ist der Verzicht auf Urlaub.
Dennoch steht Brunhilde Fortenbacher noch immer in der kleinen Holzhütte. Und es kommen immer noch genug Kunden, dass es sich wirtschaftlich zumindest für sie lohnt, an jedem Morgen erneut um fünf zu öffnen. Die Familie lässt ihre Oma nicht allein mit dem Kiosk. Die Söhne Peter und Wolfgang teilen sich die Einsätze ein, wie es ihre eigentlichen Berufe zulassen. Wenn es möglich ist, springt auch Peters Frau Birgit mit ein. Die Enkelkinder Dominic und Florian wissen genau, wo die Apfelschorle steht, wenn sie Oma im Kiosk besuchen, oder »Pumuckls Schleck-Brause«, die zur Zeit von Opa Wolfgang noch
»Ahoi« hieß.
Die familiäre Atmosphäre dürfte der wichtigste Grund dafür sein, warum der kleine Kiosk auch ein halbes Jahrhundert nach seiner Gründung noch so viele Stammkunden hat, darunter auch lokale Prominenz. An diesem Kiosk erwarb Reinhard Mohn stets seine Welt am Sonntag, als er sie noch selber kaufte. Wenn er in Gütersloh ist, fährt auch Ex-Bertelsmann-Vorstandsvorsitzender Dr. Mark Wössner immer noch vor. Der neue Bertelsmann-Personalchef Immanuel Hermreck zählt ebenso zu den Stammkunden wie Prof. Dr. Gert Schukies, ehemaliger Sprecher der Deutschen Post AG.
Ob die Frühschicht von Mohn Media oder Campina, ob die Fußballer von Dalke Soccer oder die Kunden, die extra aus Isselhorst oder Verl zum kleinen Kiosk kommen - alle halten sich an die bewährte, eiserne Regel von Brunhilde Fortenbacher: »Keinen Unsinn reden. Wir können hier über alles scherzen. Doch wer andere angreift und diffamiert, hat hier nichts verloren.«

Artikel vom 21.07.2006