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Gedenkfeier darf kein
Pflichtritual werden

20 Jahre Isaak-Auerbach-Platz in der Vielserstraße

Salzkotten (WV). Die Stadt Salzkotten ist sich ihrer Geschichte bewusst -ĂŠauch der unrühmlichen. Davon zeugt seit nunmehr 20 Jahren eine Gedenkstätte in der Vielserstraße. Denn vor rund zwei Jahrzehnten wurde der Isaak-Auerbach-Platz mit seiner Erinnerung an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus offiziell eingeweiht.

Bereits am 4. Juni 1984 fasste der Stadtrat einstimmig den Beschluss, am Platz der ehemaligen, am 9./10. November 1938 zerstörten Synagoge eine Gedenkstätte für die aus Salzkotten vertriebenen und deportierten jüdischen Opfer des Nationalsozialismus zu errichten. Gut zwei Jahre später, am 29. Juni 1986 wurde dieser Ort des Gedenkens feierlich eingeweiht. Nicht nur, wie ursprünglich vorgesehen, ein großer Findling mit Davidstern und Gedenktafel, sondern eine vom Umfeld deutlich abgegrenzte raumähnliche Installation aus zwei Mauern auf leicht erhöhtem Bodenniveau erinnert seitdem daran, dass hier das Gotteshaus der jüdischen Gemeinde stand, einer Gemeinde, die wie so viele andere in Deutschland zwischen 1933 und 1942 vollständig ausgelöscht wurde.
Der 4. Juni '84 und der 29. Juni '86 waren gute Tage für Salzkotten. Denn endlich wurde es möglich, sich der Geschichte der jüdischen Bevölkerung der Sälzerstadt, die bis weit ins 16. Jahrhundert zurückreicht, offen zu stellen. Endlich war das Ausweichen, Vertuschen und Verharmlosen vorbei, das den städtischen Umgang mit diesem Thema seit Kriegsende nachhaltig geprägt hatte.
Noch Anfang der 80er Jahre schien es, als seien (bis auf den Friedhof an der Schützenstraße) alle Spuren restlos vernichtet, die über das Leben der jüdischen Bürgerinnen und Bürger an der Heder Auskunft geben könnten. Schon wenig später aber stellte sich heraus, dass nicht nur in den Staatsarchiven von Münster und Detmold, sondern in Salzkotten selbst erhebliche Aktenbestände vorhanden waren, die auf ihre Auswertung warteten. Und viel wichtiger noch: Es gab Überlebende des nazistischen Terrors, die als junge Leute ins Ausland geflohen waren und - wenn überhaupt - Salzkotten nach 1945 nur bei privaten Besuchen wiedergesehen hatten.
Im September 1992 waren auf Einladung der Stadt zehn dieser ehemaligen jüdischen Bürgerinnen und Bürger erstmals für ein Woche an der Heder zu Gast. Für alle Beteiligten war es eine sehr bewegende Veranstaltung, die der damalige Bürgermeister Konrad Rump mit folgenden Worten zusammenfasste: »In der Stunde dieser Begegnung werden wir von neuem Anstoß geben, jeder Zerstörung der Humanität und des friedlichen Zusammenwirkens aufrecht entgegenzutreten, einander zu vertrauen und einander die Hand zur Freundschaft zu reichen!«.
So ist in den vergangenen 20 Jahren viel geschehen, das darauf hinweist, dass die Stadt sich des jüdischen Anteils ihrer Geschichte absolut bewusst ist und die Schuld für die Geschehnisse nach 1933 nicht allein außerhalb der Stadtgrenzen sucht. »Nicht zu übersehen ist indes, dass die jährliche Veranstaltung zur Erinnerung an die Reichspogromnacht vom 9./10. November 1838 in Gefahr steht, zu einem routiniert abgewickelten Ritual zu verkommen, zu einer ungeliebten Pflichtveranstaltung, die nur noch die offiziellen Vertreter der Stadt, die Vertreter der Kirchen und einige wenige historisch Interessierte überhaupt anzugehen scheint, von den allermeisten Bürgern aber gar nicht mehr wahrgenommen wird«, schreibt Dr. Bernd Wacker vom Verein Judentum in Salzkotten. Wacker weiter: »20 Jahre nach der Einweihung der Gedenkstätte wird die Frage unabweisbar, was die Erinnerung an die Geschehnisse der 30er und 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts denn heute nicht zuletzt auch für die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen bedeutet.«
Den Aussagen schließt sich auch Salzkottens Bürgermeister Michael Dreier an. »Es ist mir sehr wichtig, auf die Geschehnisse, die Salzkottens Geschichte mit geprägt haben, immer wieder hinzuweisen. Mein Appell geht vor allem an die Jugendlichen: Befasst euch mit der jüngsten Vergangenheit, kommt zu den Veranstaltungen, nehmt Angebote wahr, wie etwa einmal den jüdischen Friedhof in Salzkotten zu besuchen!«
Wie wird es weitergehen, fragt Dr. Wacker. Es ist sicherlich an der Zeit - nicht nur im Stadtrat - darüber ernsthaft nachzudenken.

Artikel vom 21.07.2006