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Hirnforscher überführt Lügner

»Unwahrheiten entstehen im hinteren und mittleren Teil des Gehirns«

Von Hendrik Uffmann
Bielefeld (WB). Der Bielefelder Neuropsychologe Hans-Joachim Markowitsch hat Methoden entwickelt, mit denen Lügner zuverlässiger als bisher überführt werden können.

Markowitsch lehrt an der Fakultät für Psychologie der Universität Bielefeld und gilt als einer der führenden Gedächtnisforscher und Neuropsychologen. Er hat Verfahren entwickelt, die wesentlich präziser sind und bei denen der Ort im Gehirn festgestellt werden kann, an dem die Lüge entsteht. Diese Art »Lügendetektor« funktioniert durch die Kombination mehrerer Tests. »Zum einen haben wir eine breite Palette an Persönlichkeits- und Gedächtnistests«, erklärt der Neuropsychologe. Dazu gehören auch so genannte Konfabulations-Fragebögen, bei denen nach der Bedeutung von Wörtern oder (angeblichen) Ereignissen gefragt wird, die gar nicht existieren. Wer dennoch eine Erklärung für den Begriff oder das Ereignis liefert, der tendiert eher zum Lügen. Bei speziellen Lügendetektionstests fällt den Fachleuten auf, wenn jemand absichtlich schummelt, um zum Beispiel ein schlechtes Gedächtnis vorzutäuschen, weil er sich angeblich an ein Verbrechen nicht mehr erinnern kann.
Zweite Komponente ist der Einsatz der funktionellen Kernspintomographie, die Bilder von der Gehirnaktivität liefert. Erzählt ein Mensch Dinge, die er wirklich erlebt hat, sind Bereiche in der vorderen rechten Hirnregion aktiv. Denkt er sich Sachverhalte aus, arbeiten Regionen im hinteren und mittleren Teil des Gehirns. »Selbst, wenn jemand unbewusst lügt, können Unterschiede festgestellt werden«, sagt Markowitsch.
Ein Beispiel für bewusstes Lügen erlebte er vor kurzem als Gutachter vor Gericht. Der Angeklagte, ein 1,95-Meter-Mann, hatte behauptet, an einer Autobahnraststätte überfallen, zusammengeschlagen und ausgeraubt worden zu sein. »Bei den Tests habe ich dann festgestellt, dass er die Geschichte offensichtlich erfunden hat.« Bevor Markowitsch sein Gutachten bei der Verhandlung vorstellte, gab der Richter dem Angeklagten nochmals die Gelegenheit, seine Aussage zu überdenken. Die Konsequenz: Der Mann gestand, den Überfall vorgetäuscht zu haben, um die Versicherung zu betrügen.
Bislang basieren Gutachten zur Glaubwürdigkeit von Zeugen oder Angeklagten meist ausschließlich auf Gesprächen mit Psychiatern. »Doch das allein genügt nicht«, sagt Markowitsch. In den USA gibt es nach seinen Worten bereits Firmen, die die neuartigen Tests mit Hilfe von Kernspintomographen für Gerichte erstellen. Und auch in Deutschland werde der Einsatz solcher Tests zwangsläufig zunehmen, ist der Wissenschaftler überzeugt. Die Reaktionen bei Juristen seien unterschiedlich. Die meisten, erklärt Markowitsch, seien aufgeschlossen.
Was gegen die neuen Testmethoden spreche, seien der immense Aufwand und die hohen Kosten. »Doch wenn es um langjährige Haftstrafen geht ist es doch um so wichtiger, das richtige Urteil fällen zu können. Und wir können mit diesen Methoden mithelfen, der Wahrheit näher zu kommen.«

Artikel vom 14.07.2006