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Gepa Hinrichsen, Mitinhaberin der Hamburger »Zoo Werbeagentur«

»Die Pisa-Studie mahnt: Wir Deutschen müssen mehr und mehr für Analphabeten Werbung machen.«

Leitartikel
Sprache einst und jetzt

War »Herr Mettmann« vorn dabei?


Von Rolf Dressler
Just in diesen Tagen entwerfen Forscher und Fernsehmacher, Rekonstrukteure und Redakteure geradezu mit Feuereifer ein kunstvolles Detailbild des sagenumwobenen Neandertalers. Eine WDR-Dokumentationssendung war sogar liebevoll mit »Herr Mettmann« betitelt, weil besonders aufschlussreiche Überreste des Frühmenschen im Neandertal nahe der gleichnamigen Stadt im Bergischen Land gefunden worden waren.
Natürlich möchte die Nachwelt gern endlich Gewissheit gewinnen über das tatsächliche Aussehen und die Gestalt des Neandertalers. Doch so intensiv wie wohl noch nie zuvor richtet sich das Augenmerk nun vor allem auch auf die Schlüsselfrage, wie stark das Sprach- und Sprechvermögen unseres Ur-Ur-Urahnen tatsächlich ausgeprägt gewesen ist. Denn dieses Kapitel muss Schritt für Schritt erst noch vollständig aufgehellt werden.
Inzwischen - über die Jahrtausende hin - hat die Entwicklungsgeschichte des Homo sapiens immer neue, höhere Stufen erklommen. Dennoch aber plagen uns Heutige etliche erstaunliche Sprach-, Verständnis- und Verständigungsprobleme. Und: Wer, aus welchen Gründen auch immer, gar nicht sogleich auf den Punkt verstanden werden möchte, der greift gern auch einmal zu Vernebelungsbegriffen und verquasten Formulierungen, die - im günstigsten Fall - von Loriot erfunden worden sein könnten.
Da gibt beispielsweise der Magdeburger evangelische Bischof Bischof Axel Noack zu bedenken, ob »niedrigschwellige« kirchliche Angebote ohne näheren Aufschluss über christliche Traditionen überhaupt geeignet seien, Menschen für die Hinwendung zu Jesus Christus zu gewinnen. Die Kirche müsse sich vor einer »Selbstvergleichgültigung« hüten.
In einer Studie namens »Paare werden Eltern« finden sich Verbalverrenkungen wie etwa diese:
»Der habituelle Attributionsstil für negative Beziehungserfahrung besitzt nicht nur diese Indikatorfunktion. Vielmehr schirmt eine günstige, den Partner/die Partnerin schützende Interpretation kritischer Erfahrung das positive Partnerkonzept und die Wertschätzung für den anderen gegen die abträgliche Wirkung negativer Partnerschaftsereignisse ab.«
Und das hochwohllöbliche Mannheimer Institut für Deutsche Sprache preist ausdrücklich die Benutzerfreundlichkeit des kürzlich erschienenen »Rückläufigen Wörterbuchs der deutschen Sprache«. Denn, Zitat: »Dessen Wortbildungsgruppen und eigenständige Unter- und Suffixgruppen lassen auf einen Blick erkennen, wie produktiv ein Lexem und ein Suffix sind, welche Komposita und Ableitungen sie bilden und welche grammatisch-morphologischen Eigenschaften sie aufweisen...«
Immerhin hegt Institutschef Prof. Ludwig M. Eichinger leise Zweifel, »ob ein solches Wörterbuch mit einem Lemma-Bestand von 270 000 Einheiten jemals ein breites Lesepublikum erreichen« könne. Das ehrt ihn.
War »Herr Mettmann« seiner Zeit voraus?

Artikel vom 18.07.2006