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Das Wort zum Sonntag

Jutta Hoppe

Von Jutta Hoppe


»Philippus fragte den Kämmerer: Verstehst du auch, was du liest?« Apostelgeschichte 8,30.
Stellen Sie sich vor, ein Reisender liest im Intercity-Express der Deutschen Bahn laut in der Bibel. Wäre das nicht etwas eigenartig? Die Mitreisenden würden sich vielleicht beschweren. Sie würden aber sicherlich nicht fragen: »Verstehst du auch, was du liest?« Es wäre ihnen zu aufdringlich und zu intim, einen Wildfremden danach zu fragen, was er in der Bibel liest.
Die Kirche ist jedoch dadurch gewachsen, weil Christen zur damaligen Zeit allesamt Missionare waren. Ihnen ging der Mund über, wovon ihr Herz voll war.
Die Erzählung vom Kämmerer aus Äthiopien ist eine Wundergeschichte. Denn ein Wunder ist es, dass hier zwei Menschen zusammentreffen, die ursprünglich nichts miteinander zu tun haben: ein Finanzminister und Philippus, ein einfacher Missionar, einer aus Palästina und einer aus Äthiopien, ein eingeborener Jude und ein schwarzer Afrikaner.
Der Finanzminister hat Karriere gemacht, er ist ein angesehener Mann. Irgendwann hatte er sich dann gefragt: Hat sich das alles gelohnt? War es das? Seine Seele ist zu kurz gekommen. Darum macht er sich auf die Sucher nach Gott. Einen weiten Weg legt er zurück, bis nach Jerusalem. Er erlebt als Fremder viele Enttäuschungen. Er, als Eunuch. darf nicht einmal in den Tempel. Traurig macht er sich auf den Rückweg. In Jerusalem kauft er noch eine der teuren Bibelhandschriften. Darin liest er nun - es ist das Jesaja-Buch -, allein in seinem Reisewagen. Doch er versteht nichts. Er müht sich vergebens, allein kommt er nicht weiter. Da tritt Philippus auf der Straße nach Gaza an seine Seite und spricht ihn an. Sie redeten lange miteinander. Wir wissen nicht, was Philippus dem Kämmerer von Jesus erzählt hat. Doch der Kämmerer spürt: Das ist es, was ich gesucht habe. Er lässt sich von Philippus taufen und kehrt fröhlich in sein Heimatland zurück. So ist Gott am Werk und verknüpft die Lebenswege - damals auf der Straße von Jerusalem nach Gaza, heute vielleicht auf dem Weg, der morgen vor uns liegt.

Artikel vom 22.07.2006