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Hohe Steuern keine
unzumutbare Belastung

Neue Auslegung des Halbteilungsgrundsatzes


Von Martin Schrahe
Herford (HK). Das Bundesverfassungsgericht hatte 1995 unter der Federführung von Paul Kirchhoff die Erhebung der Vermögensteuer für verfassungswidrig erklärt. Im Urteil wurde der Halbteilungsgrundsatz entwickelt. Die Gesamtsteuerbelastung, die der Staat dem Steuerpflichtigen aufbürden darf, sollte nicht mehr als 50 Prozent der Erträge ausmachen.
Das Verfassungsgericht hat nun diesen Grundsatz, der für die Substanzsteuer Vermögensteuer entwickelt wurde, interpretiert und nicht uneingeschränkt auf das Ertragssteuerrecht übertragen. Das Gericht geht im Kern davon aus, dass eine Substanzsteuer wie die Vermögensteuer leicht zum ungerechtfertigten Angriff des Staates auf das Eigentum der Bürger werden kann und damit die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes verletzt wird. Die Einkommensteuer und Gewerbesteuer hingegen sind Ertragsteuern, die nach Auffassung des Gerichtes den Bürger keineswegs automatisch übermäßig belasten, auch wenn sie über 50 Prozent liegen.
Der Beschluss vom 18. Januar hat Bewegung in die Diskussion um eine Reform der Unternehmensbesteuerung und um die Frage des Spitzensteuersatzes gebracht. Das Gericht hat den Halbteilungsgrundsatz des »Kirchhoff-Urteils« keineswegs verworfen, sondern lediglich eine stärkere Differenzierung zwischen Substanz- und Ertragsteuern herausgearbeitet. Nach diesem Urteil wird es auch für die Reformpolitiker schwieriger, einen Einheitssteuersatz oder Stufentarif zu rechtfertigen.
Die Richter haben ausdrücklich die progressive Besteuerung gut geheißen. Das Urteil verdeutlicht, dass hohe Steuersätze allein noch keine unzumutbare Belastung sind, solange der Bürger vorher die Bemessungsgrundlage durch Freibeträge, Vergünstigungen und steuerliche Gestaltungen reduzieren darf. Dies bedeutet auch im Umkehrschluss, dass in dem Maße, wie Gestaltungsmöglichkeiten verschwinden, die Steuersätze sinken müssen.

Artikel vom 01.07.2006