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Musikalische Wurzeln in Dünne

Hans Werner Henze feiert seinen 80. Geburtstag. Foto: dpa

Der bedeutende Komponist Hans Werner Henze wird 80 Jahre alt

Von Willi Fleddermann
Bünde (BZ). Geboren ist er in Gütersloh, aber seine Jugend hat Hans Werner Henze in Bünde verbracht. Am Samstag wird der Komponist, einer der größten des zwanzigsten Jahrhunderts, 80 Jahre alt.

Am 6. Mai 1935 bezog ein neuer Lehrer die Wohnung im Schulgebäude der Gemeinde Dünne, das damals die Hausnummer 184 trug. Der Lehrer hieß Franz Henze, und mit ihm kamen seine Ehefrau Margarete, die dreijährige Tochter Elisabeth und zwei Söhne: der siebenjährige Gerhard und als Ältester der damals achtjährige Hans Werner Henze.
Wer hätte sich damals vorstellen können, dass eben dieser Hans Werner Henze einmal zu den bedeutendsten Komponisten der Gegenwart zählen würde?
Der Komponist Henze wird in diesem Jahr in vielen Metropolen gefeiert. Auch Bünde will Hans Werner Henze von September bis November mit einer kleinen, ihm gewidmeten Veranstaltungsreihe ehren. Bünder Schulen, die Schreibwerkstatt der Volkshochschule, die Musikschule und das Museum Bünde arbeiten an einem Konzept, das die Person des bedeutenden Komponisten in den Mittelpunkt stellt. Gleichzeitig soll die Reihe einem wichtigen Anliegen Hans Werner Henzes gerecht werden: der Förderung künstlerischen Nachwuchses. Ein Kompositionsworkshop der Musikschule hat bereits zu viel versprechenden Ergebnissen geführt. Und auch für die geplante Henze-Ausstellung im Museum werden künstlerische Arbeiten von Schülerinnen und Schülern eine wichtige Rolle spielen.
Bis zum April 1942 lebten die Henzes in Bünde. Für Hans Werner waren es prägende Jahre. In seiner Autobiografie und in Interviews erinnert er sich an die Zeit und nennt den einen oder anderen Namen. Marlies Rückrihm zum Beispiel, die mit Mitschülerinnen des Lyzeums Musikunterricht im Gebäude des Jungengymnasiums am Markt erhielt und dort einen Zettel unters Tintenfass schob: »Wer sitzt hier?« Die Antwort kam prompt: »Hier sitzt Hans Werner Henze.« Die beiden lernten sich kennen, verloren sich aus den Augen und ließen nach vielen, vielen Jahren Erinnerungen in Briefen und Fotos aufleben. Oder Georg Wiegner. Der hat auch im fernen Hongkong seinen ehemaligen Klassenkameraden nicht vergessen und erinnert sich an dessen virtuose Interpretation klassischer Klavierstücke alter Meister in der Aula des Gymnasiums. Dass der begabte Hans Werner nach offiziellen Feierstunden, ganz und gar nicht für die Ohren kritischer Lehrer bestimmt, andere »verbotene« Musik spielte und zu flotten Jazzrhythmen »gehottet« wurde, weiß Georg Feldmann zu berichten, der - wie Hans Werner Henze und viele andere Pennäler - nach der Reichspogromnacht betroffen vom Fenster des Gymnasiums aus auf den zerstörten jüdischen Friedhof schaute.
Musikunterricht (Klavier und Harmonielehre) erhielt er beim Zigarrenhändler Albert Hüing. Mit ihm verkehrte er als »Seitenwender« in Kirchlengern im Hause des Arztes Dr. Buthenuth, wenn der »geigende Doktor und eine cellospielende Baronin« mit Hüing klassische Trios zu Gehör brachten. Dazu schreibt Henze: »Und es lag ein düsteres Geheimnis über dem Ganzen: Frau Buthenuth war nicht arisch, sie schwebte in Gefahr, es schützte sie vielleicht nur der Umstand, dass ihr Mann ein wichtiger, angesehener Kreisarzt war. Die schöne Musik, die ich dort Jahr für Jahr in diesem zivilisierten, von finsteren Mächten bedrohten Bürgerhaus hören durfte, hat mich sicherlich gelehrt und in meiner Auffassung bestärkt, dass Kunst in der Welt der Verfolgten zu Hause ist.«
Luise Huchtmann und Marie Kaase, die in jener Zeit ein Pflichtjahr im Haushalt der Lehrerfamilie Henze absolvierten, erinnern sich gut an künstlerische Ambitionen Hans Werner Henzes. Zum Beispiel hatte er etwas Szenisches zum Prinzen von Homburg geschrieben (die spätere Henze-Oper »Der Prinz von Homburg« mit dem Libretto von Ingeborg Bachmann hatte so vielleicht eine Dünner Vorgeschichte). Inge Brinkkötter war beim Kasperltheater dabei, das Hans Werner mit Freunden für Nachbarskinder aufführte.
1942 wurde Vater Henze in die Senne versetzt. Hans Werner kam auf das Bielefelder Ratsgymnasium, wurde aber schon im August auf die Staatsmusikschule nach Braunschweig geschickt. Die Aufnahmeprüfung in Braunschweig dauerte nur fünf Minuten, Hans Werner Henze bekam auch gleich ein Stipendium. Vorausgegangen war noch in Bünde, dass Franz Henze plante, seinen Sohn diskussionslos auf eine Musikschule der Waffen-SS zu schicken. Zum Glück schaltete sich der am Gymnasium Musik unterrichtende Lehrer Kohlmann ein und drängte Vater Henze in einem Brief, nach einer geeigneteren Lösung zu suchen.
Seine ersten Kompositionen schrieb Henze in der Zwölftontechnik, so die erste Sinfonie und sein erstes Violinkonzert. 1948 entstand »Das Wundertheater« nach Miguel de Cervantes als erste Oper. Als erstes bedeutendes und erfolgreiches Bühnenwerk gilt aber die 1951 uraufgeführte Oper »Boulevard Solitude«. Er gilt heute als einher der bedeutendsten Komponisten der Gegenwart.

Artikel vom 01.07.2006