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»Eigentlich wollte ich auswandern«

Er stammt aus München und ist im Mai 65 Jahre alt geworden. Seit dem 1. April 1982 lehrt der verheiratete Vater zweier Söhne im Fachbereich Literaturwissenschaft an der Uni Bielefeld. Jetzt geht Prof. Dr. Reinhold Wolff in den Ruhestand. Der Vorsitzende der Karl-May-Gesellschaft stellte sich den Fragen von Laura-Lena Förster.

Was haben Sie vor zwei Jahrzehnten auf die Frage geantwortet: »Wo sehen Sie sich in 20 Jahren?«Wolff: Vor 20 Jahren war ich schon an der Universität Bielefeld. Ich hatte mich 1980 in Regensburg habilitiert. Für ausgeschriebene Professuren in meiner Spezialisierung gab es 80 bis 90 Bewerber. Als es dann 1982 in Bielefeld klappte, sagte ich mir: Das war's wohl für den Rest des Akademikerlebens. Und da wir damals schon mit einem ganzen Viehstall umzogen (es waren damals Pferde, Hühner, Hunde), kauften wir ein altes, stark renovierungsbedürftiges Bauernhaus im Wiehengebirge - was meine »Flexibilität« schlagartig auf Null reduzierte.

Warum haben Sie sich für die Arbeit an der Uni entschieden?Wolff: Habe ich eigentlich gar nicht. Eigentlich habe ich 1970 promoviert, weil ich deutscher Lektor in Kanada werden wollte: Ich wollte auswandern und dabei mein Germanistik- und Französisch-Studium nutzen. Aber dann wurde die Dissertation zu gut, ich promovierte in München mit »summa cum laude«, bekam eine Assistentenstelle in Regensburg. Und von da an gings bergab.

Was machen Sie lieber: lehren oder forschen? Wolff: Beides ist (eigentlich) faszinierend, jedes auf seine Art. Wenn Sie einen Vortrag halten vor einem wachen, vorbereiteten, interessierten Publikum - dann gibt es nichts Schöneres. Wenn Sie aber einen Hörsaal vor sich haben, in dem die Leute nur sitzen, weil sie nicht wussten, was sie sonst mit ihrem reichlich verteilten Abitur machen sollten, und in dem die Leute einfach versuchen, auf die billigste aller möglichen Arten zu einem Schein zu kommen, motiviert das nicht so sehr.
In der Forschung gibt es andere Probleme: Sie hängt am Tropf der Drittmittelrituale. Da bestimmt nicht mehr die Neugier und Kreativität des Forschers, wohin der Zug geht, sondern die bisweilen merkwürdige Prozessdynamik der Gutachtergremien und die Schwerpunktsetzungen der Drittmittelprogramme. »Wissenschaft am Tropf« ist aber auch nicht sehr motivierend...

Warum sollten junge Menschen studieren?Wolff: Sicher nicht, um ihre Allgemeinbildung zu vervollkommnen. Studieren sollte, wer von einer bestimmten Sache fasziniert ist und auch die intellektuellen Voraussetzungen dafür mitbringt, und wer auch bereit ist, hart dafür zu arbeiten. Dann hat er auch eine begründete Aussicht auf einen erfolgreichen Studienabschluss. Und dann soll er auch überdurchschnittlich gut verdienen, damit die Investition der sehr langen Ausbildungszeit wieder reinkommt.

Wenn Sie noch einmal Student wären, für welches Fach würden Sie sich entscheiden?Wolff: Ich fürchte, ich würde wie 1960 immer noch schwanken zwischen Romanistik und Medizin.

Welches Buch halten Sie im Studium für unverzichtbar?Wolff: Das dürfen Sie keinen Literaturwissenschaftler fragen, der auch noch die letzte nutzbare Ecke seines Hauses mit Büchern vollgestellt hat...

Was gefällt Ihnen an der Universität Bielefeld besonders gut? Wolff: Die Bibliothek und das Bibliothekssystem. Es ist von der Universität Regensburg übernommen und dort erfunden worden vom Sohn eines Mathematiklehrers, den wir im Wilhelmsgymnasium in München hatten.

Welche deutsche Universität verdient Ihrer Ansicht nach den Titel »Elite-Uni«? Wolff: Den Titel selbst finde ich ein bisschen affig. Aber natürlich gibt es die Sache: Ich habe schon vor mehr als 15 Jahren prophezeit, dass sich »die« deutsche Universität auf ein Zwei-Klassen-System hinentwickelt: die »Efeu-Liga«, die im Süden (Bayern, Baden-Württemberg) angesiedelt ist, und die »State Universities« in den (damaligen) SPD-Ländern. Vor fünf Jahren konnte ich diese Art von System in den USA studieren und habe auch kapiert, warum das so ist...

Was erhoffen Sie sich für Ihren Fachbereich von Studiengebühren? Wolff: Nichts Unmittelbares: Dass man die Wände von Seminarräumen mal streichen könnte, hätte sicher seinen ästhetischen Reiz. Aber das Problem würde gar nicht erst entstehen, wenn man sie nicht vollschmieren würde. Für das Studium der Literaturwissenschaft sind auch keine teuren Apparaturen notwendig. Was ich mir erwarte, ist eher, dass sich Studenten (und Eltern) überlegen, was sie wirklich studieren wollen und ob ihnen dieses Studium, erfolgreich abgeschlossen, Berufsmöglichkeiten eröffnet. Wie haben uns in den Jahren der Verwöhnung abgewöhnt, das Studium als eine (für Eltern und Steuerzahler teuere) Investition zu betrachten, mit der verantwortlich umgegangen werden muss.

Mit welchem Verkehrsmittel kommen Sie zur Bielefelder Universität?Wolff: Wir wohnen in den Höhen des Wiehengebirges bei Osnabrück, mit der Eisenbahn ist in der deutschen Geschichte die Nord-Süd-Verbindung offenbar nicht vorgesehen. Ich bräuchte mit dem Zug eine bis eineinhalb Stunden länger als mit dem Auto. Leider...

Was ist Ihr Lieblingsgericht in der Mensa?Wolff: Ich habe ein paar »Figurprobleme« und esse mittags fast immer eines dieser köstlichen Sandwiches mit Schinken und Krautsalat.

Wann war Ihre letzte Studentenparty?Wolff: Das ist ein paar Jahre her: Ich bin 65, und die nächtlichen Heimwege ins Wiehengebirge sind weit. Bis vor wenigen Jahren habe ich noch die Romanistik-Studenten zu einer Semester-Abschlussparty ins Wiehengebirge eingeladen, aber nachdem die Universitätsspitze das Romanistik-Studium eingestellt hat, macht das auch keinen Sinn mehr.

Inwieweit erfahren Sie seitens Ihrer Familie Unterstützung für Ihren Beruf?Wolff: Wenn ich arg im Stress bin, lässt sie mich in Ruhe. Das ist Unterstützung genug, für die ich auch dankbar bin.

Artikel vom 04.07.2006