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Kosovo: USA wollen eine
Lösung bis Jahresende

Beratungen über serbische Provinz in der Schlussphase

Von Thomas Brey
Belgrad (dpa). Die Bemühungen um die Zukunft der abtrünnigen südserbischen Provinz Kosovo sind in der Schlussphase. Der serbische Regierungschef Vojislav Kostunica ist gestern nach London gereist, wo sein Amtskollege Tony Blair mit ihm Klartext sprechen will.
Steht vor großen Herausforderungen: Vojislav Kostunica.
Es gehe jetzt nicht mehr um »historisches Theater«, sondern um die harte Realität, berichteten die serbischen Medien. Kostunica, für den die weitere Souveränität über das einstige serbische Kernland Kosovo eine Herzensangelegenheit ist, solle klipp und klar gesagt werden, er müsse sich auf ein unabhängiges Kosovo einstellen.
Ähnliches erwartet Kostunica in Washington. US-Präsident George W. Bush werde seinem Gast mitteilen, dass er einen souveränen Albanerstaat Kosovo anstrebe, schreiben die Medien in Belgrad. Für fünf Jahre solle diese Unabhängigkeit eingeschränkt und von der Europäischen Union (EU) beaufsichtigt werden. In jedem Fall wollen die USA das Kosovo-Problem bis zum Jahresende gelöst haben.
Nachdem sich Albaner und Serben seit Februar in Wien in keinem zentralen Punkt näher gekommen waren, wird eine aufgezwungene Lösung immer wahrscheinlicher, berichten Diplomaten in Pristina. Denn die Albaner, die inzwischen 95 Prozent der zwei Millionen Kosovo-Bewohner ausmachen, bestehen auf ihrer Unabhängigkeit. Serbien will die Kontrolle im Kosovo behalten und bietet nur weitgehende Autonomie an. Die Standpunkte sind unvereinbar, ohne Ansätze zum Kompromiss.
Die nächsten Herausforderungen für Kostunica folgen Schlag auf Schlag. Ende Juli will ihn der UN-Kosovo-Vermittler Martti Ahtisaari mit dem albanischen Regierungschef Agim Ceku an einen Tisch bringen. Kostunica dürfte rot sehen, weil Serbien Ceku als Kriegsverbrecher ansieht, der im Bürgerkrieg 1998/99 für den Tod von mehr als 200 Serben verantwortlich sein soll. Im Juli berichtet Ahtisaari auch dem UN-Sicherheitsrat über seine bis dann erfolglose Vermittlung. Der Sicherheitsrat werde dann während der Sommermonate eine neue Resolution zur Zukunft Kosovos vorbereiten, heißt es bei Diplomaten in Belgrad.
Möglicherweise wird Kostunica aber noch vor diesen Entscheidungen aufgeben und vorzeitige Parlamentswahlen ausschreiben, wollen heimische Zeitungen erfahren haben. Nach allen Prognosen haben die extrem nationalistischen Radikalen und die Sozialisten des früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic Siegchancen. Sie können dann mit dem Vorwurf Stimmen gewinnen, Kostunica habe »Kosovo, das Herz Serbiens, verspielt«.
Ironie der Geschichte. Radikale und Sozialisten hatten mit ihrer Vertreibungspolitik das Kosovo verloren. Seit 1999 verwalten die Vereinten Nationen diese Region. Die Unabhängigkeit Kosovos verschaffte dann den Extremisten wieder den Zugang zur Macht. Serbien wäre in Europa erneut isoliert. Auch die USA haben klar gemacht, dass sie jede Zusammenarbeit mit den Kräften des alten Systems ablehnen.

Artikel vom 27.06.2006