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Hunger auf alles
Dicht
am
DFB

Von Friedrich-Wilhelm Kröger

Wenn Deutschland spielt, weht durch die Arenen wieder ein Verwöhnaroma. Die Nationalmannschaft hat mit ihrem Siegeszug auch einen ungewöhnlichen Rollentausch herbeigeführt. Das Verhältnis zwischen Kritisierten und Kritikern steht kopf.
Selbst Miesepeter finden, dass es höchstens noch dann eine dumme WM werden kann, wenn es gegen Argentinien eine 0:5-Klatsche gibt. Dafür treten die Spieler ungewohnt selbstbewusst auf und wagen die Flucht nach vorn: Viertelfinale ist ihnen zu wenig, sie wollen alles.
Und während auf den Straßen die Party tobt, die sich schon vom nächsten Resultat unabhängig gemacht hat und ständig neue Spitzenwerte auf dem Formbarometer für Fans erreicht, bereitet sich Klinsmanns Kader auf den kommenden Kick vor. Weil er in Zusammenhang mit den WM-Ambitionen gern vom »Hunger« spricht, den er spürt, muss man wohl festellen: Appetit kommt beim Essen. Den Schweden-Happen haben sie locker verdrückt, so schwer verdaulich war er nicht.
Was immer nun gegen Argentinien (oder danach oder danach) passiert, ändert nichts mehr daran, dass diese Nationalauswahl zum ersten Mal seit 34 Jahren wieder für eine Spielkultur steht, die man seither allenfalls sporadisch bestaunen durfte. 1972 wurde die Europameisterelf für ihren Fußball geschätzt. Danach erntete eine DFB-Vertretung Anerkennung für ihre exzellenten Ergebnisse, die sie erzielte. Aber selten für ihre Ballkunst.
Unter Klinsmann ist Kontur zu erkennen und dass sich die Mannschaft ideenreich um Identität bemüht. Neu und frisch, gewürzt mit Traditionellem. Sie kämpft, sie kann aber auch etwas kreieren. Sie leistete sich taktische Mängel, lernt aber dazu. Sie zieht die Leute auf ihre Seite und wird jetzt geradezu mit Liebe eingedeckt.

Artikel vom 26.06.2006