23.06.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Die alte Dame kommt zu Besuch

Literaturkurs der Janusz-Korczak-Gesamtschule führt Dürrenmatt-Stück auf

Gütersloh (WB). Zum ersten Mal konnte die Schulgemeinde die Aufführung eines Oberstufenliteraturkurses der Janusz-Korczak-Gesamtschule genießen.



Grau, düster, etwas unheimlich, Papierfetzen im Wind, ein umgestürzter Einkaufswagen, im Hintergrund auf die Wand projiziert der Bahnhof von Gütersloh als Schwarz-Weiß-Aufnahme, was die Tristesse dieses Moments noch unterstreicht. Aus dem Off dringen die ersten Takte der schon legendären Filmmusik aus »Spiel mir das Lied vom Tod« an das Ohr des Zuschauers. Das musikalische Zitat lässt dunkle Ahnungen hochsteigen. Zum Standbild eingefroren befinden sich vier Personen. Frühe Gestalten eines noch nicht begonnenen Tages. Damit beginnt die Aufführung des 12er Literaturkurses der Janusz-Korczak-Gesamtschule unter der Regie von Cornelia Ertmer. Den Ort der tragischen Komödie des Schweizer Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt »Der Besuch der alten Dame« hat der Kursus nach Gütersloh verlegt, im Original Güllen genannt, wobei die sprachliche Verwandtschaft von Güllen mit Gülle im Verlauf des Stückes auch die entsprechende Interpretation für die ostwestfälische Stadt zuließe.
Sie wird erwartet. Sie kommt. Sie bringt Geld mit, viel Geld. Die Stadt kann es gebrauchen, heruntergekommen wie sie ist. Es geht schließlich um eine Summe von einer Milliarde. Die Bürger krebsen vor sich hin, der Rat der Stadt ist ratlos. Der Besuch kommt gerade zur rechten Zeit. Doch die alte Dame, Claire Zachanassian, die vor vielen Jahrzehnten die Stadt als junge, schwangere Frau verlassen musste, weil sie von ihrem Liebhaber, dem jetzigen Anwärter auf das Bürgermeisteramt, Alfred Ill, im Stich gelassen wurde, will Gerechtigkeit, genauer: Rache, Rache für erlittenes Unrecht. Der Preis: Ills Tod.
Mit großer Spielfreude brachten die Schüler des Literaturkurses der Jahrgangsstufe 12 das Stück auf die Bühne. Die Identifikation mit ihren Rollen war verblüffend. Die beiden Hauptpersonen Claire, gespielt von Carina Schmikale und Iris Winkler, und Alfred Ill, dargestellt von Alexander Volkhausen, waren hervorragend besetzt. Aber auch in den so genannten Nebenrollen zeigte so manche Schülerin, so mancher Schüler überzeugend sein schauspielerisches Talent, ob als Polizistin oder Bürgermeisterin, ob als Lehrer, Pfarrer oder Bürger, ob als Koby und Loby. Da macht sich ein kleiner Texthänger eher charmant aus. Einige kleine gute Gags hat sich der Kurs einfallen lassen, beispielsweise der Satz des Bahnhofsvorstands beim Eintreffen Claire Zachanassians, nachdem sie die Notbremse betätigt und in Gütersloh aussteigt: »Pünktlichkeit ist der Bundesbahn oberstes Prinzip.«
Funktional, dennoch sinnlich das Bühnenbild, das mit relativ wenig Requisiten auskam, die jeweilige Situation treffend akzentuierte. Schön auch der Regieeinfall, zeitgleiche Szenen diagonal auf der Bühne angeordnet darstellen zu lassen: So beobachtet Claire Zachanassian vom Balkon aus, auf der Bühne hinten links, das Treiben im Krämerladen ihres ehemaligen Liebhabers Alfred Ill, vorne rechts auf der Bühne. Es kommt, wie es kommen muss. Moral hin oder her. Sie wird so gebogen, verbogen, wie es gerade passt. Letztlich stimmen die Bürger für den Tod des mittlerweile verzweifelten Ills. Diagnose: »Herzschlag, Tod aus Freude.« »Das Leben schreibt die schönsten Geschichten«, sagt ironisch die Pressefrau. Die Stadt erhält den Scheck.
Viel Applaus für eine beachtenswerte Aufführung erntete der gesamte Literaturkurs für eine gelungene Darbietung.

Artikel vom 23.06.2006