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Fans knacken alle Rekorde

Schon 20 Millionen auf den Straßen: Deutschland singt, tanzt und jubelt

München (dpa). Auf den Straßen erklingt es schon Stunden vor Anpfiff, im Münchener WM-Stadion mit der 12. Spielminute voller Inbrunst: »Berlin, Berlin - wir fahren nach Berlin!«, schallt es aus zehntausenden Kehlen nach dem zweiten Treffer von Lukas Podolski am Samstag im Spiel der Deutschen gegen Schweden.

Gemeint ist nicht das anstehende Viertelfinale am Freitag in der Hauptstadt, sondern das Endspiel. Der 2:0-Sieg der Klinsmann-Elf im Achtelfinale lässt die Siegessicherheit der Fans neu anschwellen, auch wenn als nächster Gegner ausgerechnet Argentinien auf der Matte steht: »Deutschland wird Weltmeister«, ist überall zu hören.
Erneut haben sich die Fanmeilen und Biergärten in Bayern am Samstag in Jubelfeste verwandelt, tausende Menschen fallen sich bei den frühen Treffern der Deutschen in die Arme. »Es ist phänomenal. So schnell hätte ich die beiden Tore nicht erwartet. Jetzt kommen die Deutschen hundertprozentig ins Endspiel«, waren sich Peter (61) und Marita Hessel (57) aus Hainichen schon nach der ersten Halbzeit sicher. Nach dem Abpfiff fällt Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber in den Jubel ein: »Ich bin wirklich davon überzeugt: Wenn wir so weiterspielen, sind wir auch in Berlin nicht aufzuhalten.«
Im Meer schwarz-rot-goldener Fahnen und Fankleidung huldigen die Massen nicht nur dem zuvor oft kritisierten Bundestrainer mit »Jürgen Klinsmann«-Rufen, sondern trällern den Schweden nach der Melodie von »Yellow Submarine« der Beatles entgegen: »Ihr seid nur ein Möbellieferant«. Tausende Schweden-Fans indes ziehen trotz Hitze mit Elchgeweihen und Wikingerhelmen auf dem Kopf durch München.
»Ich habe nach dem verschossenen Elfmeter mein Fähnchen geschwenkt. Ich lasse mir die Stimmung nicht vermiesen«, sagt Schwedin Monica Green (40) in einem Münchener Biergarten. Auch »Poliser« Jörgen Petersson (39), der seine bayerischen Polizeikollegen in der Innenstadt verstärkt, zeigt sich durch Schwedens WM-Ausscheiden unbeirrt: »Ich verlebe trotzdem eine großartige Zeit in München.«
»Es ist die Hölle los«, schilderte dagegen der Münchener Taxiunternehmer Leonidas Chariopolitis (35) die Stimmung in der Stadt. Obwohl die Veranstalter den Platz auf der zentralen Fanmeile im Münchener Olympia-Gelände von 35 000 auf 60 000 Besucher erweitert hatten, mussten alle Neuankömmlinge bereits zwei Stunden vor Spielstart abgewiesen werden. Viele versuchten also, die Sperrzäune um die zentrale Fanmeile im Münchener Olympiapark zu erklettern. Nach dem Spiel stürmen 60 000 Feierfreudige die Leopoldstraße.
Auch vor der nächsten Klippe sind die Fans zuversichtlich. Günther Koch, Fußballreporter und bekannt als »Stimme Frankens«, sieht Deutschland schon im Halbfinale: Im Viertelfinale am Freitag gegen Argentinien gebe es einen Sieg im Elfmeterschießen für Deutschland. »Argentinien ist eigentlich weltmeisterschaftsreif, aber die Deutschen spielen im Moment blendend, da ist nichts dran auszusetzen«, lautet sein Expertenurteil nach dem zähen Achtelfinalsieg der Argentinier gegen Mexiko (2:1) erst in der Nachspielzeit.
Doch nicht nur Bayern singt, tanzt und jubelt: In Berlin taten dies eine Million Fans. Die Zehn-Millionen-Besucher-Marke bei den offiziellen Festen des Weltfußballverbandes FIFA wurde gestern nach etwas über zwei Wochen WM locker geknackt. Und bei allen WM-Partys im Land zusammen jubelten seit Turnierbeginn schon mehr als 20 Millionen Menschen über das große Fußballfestival unter freiem Himmel.
Kaum haben sich die Massen von einer langen Freudennacht mit Polonaisen und Hupkonzerten auf dem Kurfürstendamm erholt, baut sich schon die nächste Rekordwelle mit dem Klassiker Deutschland gegen Argentinien am Freitag in Berlin auf. Zwei Wochen vor dem Finale im Olympiastadion (9. Juli) erinnert der für ein Sportereignis beispiellose Ansturm besonders in der Hauptstadt an historische Dimensionen. Ein schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer wie jetzt zur Fußball-WM war seit dem Fall der Mauer im November 1989 und den Einheitsfeiern im Oktober 1990 nicht mehr zu sehen.

Artikel vom 26.06.2006