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Probleme vor dem Tor
und hinter den Kulissen

Vier Fragen zur Vorrunde - heimische Experten antworten

Altkreis (guf). Die 32 Fußballnationalteams bei der WM sind in die Zielgerade der Vorrunde eingebogen - Zeit für die zweite Folge des WM-Talks mit heimischen Experten.

Gastgeber Deutschland hat mit dem souveränen 3:0 gegen Ecuador ohne Verlustpunkt den Gruppensieg erreicht. Ist die deutsche Mannschaft tatsächlich so stark, wie es uns der auf totale Euphorie gepolte ARD-Kommentator Reinhold Beckmann glauben machen wollte?Michael Heß (Torwart-Routinier vom TuS Solbad Ravensberg): Die Mannschaft hat mit dem Sprung ins Achtelfinale im eigenen Land die Pflicht erfüllt und ihre Aufgaben bisher gut gelöst: sicherer Sieg im schwierigen Auftaktspiel unter hohem Erwartunsgdruck, eine starke zweite Halbzeit gegen Polen und ein hochverdientes 3:0 gegen einen Gegner aus Ecuador, der allerdings nach dem frühen deutschen 1:0 auch überhaupt keine richtige Gegenwehr geleistet hat. Wenn man da von super Zweikampfwerten für Robert Huth spricht, war das sicher kein Gradmesser. Wenn Metzelder für Huth zurückkehrt, hat Klinsmann auch aus meiner Sicht die zurzeit stärkste Aufstellung am Start, die mittlerweile gut eingespielt ist und sich in den Trainingslagern auch einen vorbildlichen Teamgeist erarbeitet hat. Klose war für mich bisher der überragende Mann, mehr als drei oder vier Weltklasseleute besitzen wir aber nicht, und man darf die bisherigen Siege nicht überbewerten.
Noch kein einziger Sieg für die afrikanischen Teams. Liegt das in erster Linie am Chaos hinter den Kulissen oder an der mangelnden Effektivität auf dem Spielfeld?Otmar Calder (der ehemalige Zweitliga-Trainer und Fußballlehrer u.a. mit Einsätzen in Nigeria und im Kongo lebt in Halle): Die Gründe liegen in erster Linie im Umfeld, wobei einige Mosaiksteine zusammenkommen. Die Spieler, fast ausschließlich in europäischen Ligen beschäftigt, tragen die Nase oft ziemlich hoch, wenn sie zum Nationalteam kommen. Unter den klimatischen Bedingungen in Afrika können sie sich nicht optimal auf ein Endrundenturnier vorbereiten, die Fitness leidet, den Trainern wird oft von Verbandsseite und Staatsführung hereingeredet, wobei zuweilen sogar die Stammeszugehörigkeit eine Rolle spielt. Wegen der grenzenlosen Euphorie der Fans nach erfolgreicher Qualifikation halten sich die Spieler schnell für die Größten. Die Kehrseite zeigt sich in übergroßem Druck der Verantwortung, wenn der Spieler frei vor dem Tor steht und seine Chance nicht nutzt. Da sind Europäer abgeklärter.
Italien hat gegen Ghana stark begonnen, dann gegen die USA enttäuscht. Liegt es doch an der Belastung durch den Bestechungsskandal, oder bleibt Italien nur seiner Minimalisten-Rolle in WM-Vorrunden treu?Alfred Alfano (Mittelfeldspieler des TuS Solbad): Ich war selbst beim Spiel gegen Ghana im Stadion - eine super Stimmung, und auch fußballerisch hat fast alles gepasst. Aber es bleibt wohl so wie seit über 30 Jahren: Italien kann in einer Vorrunde keine zwei Spiele hintereinander konzentierte Leistungen bieten, sie wurden nach dem Auftakt zu extrem hochgejubelt. Die Mannschaft ist aber stark genug, um ins Halbfinale zu kommen, denn sie ist unheimlich schwer zu schlagen. Totti im offensiven Mittelfeld aufzubieten, ist die richtige Wahl, denn Schönspieler del Piero zeigt in fünf Partien vielleicht eine gute Leistung. Froh bin ich darüber, dass De Rossi nach der roten Karte gegen USA nicht mehr dabei ist - solche Leute darf man gar nicht erst bringen, die schaden nur der eigenen Mannschaft.
Heute steigt in Gruppe C das Gipfeltreffen Argentinien gegen Niederlande. Alle schwärmen von den Südamerikanern, Hollands Vorstellungen waren bisher mäßig. Eine klare Sache?Andreas Knetter (der Versmolder trainierte in diesem Frühjahr Arminia Bielefelds U16-Junioren): Ich rechne mit einem knappen Sieg für Argentinien oder einem Remis - es wird spannend. Die Holländer haben trotz allem das Potenzial, weit zu kommen, wenn sie ihre Torchancen konsequenter nutzen und die persönlichen Eitelkeiten in den Griff bekommen. Das war ja der Grund, warum van Basten auf einige Altstars verzichtet hat, jetzt scheint es dennoch gewisse Eifersüchteleien zu geben. Es ist wie auf unterer Ebene: Wenn ich ein Überangebot gerausragender Spieler habe, ist das nicht immer förderlich. Argentinien hatte ich von vornherein auf der Rechnung, denn die haben mich schon beim Confed-Cup überzeugt. Das 6:0 gegen Serbien darf man nicht überbewerten, aber die Elf hat auch nach hinten ihre Stärken und ist mannschaftlich wahrscheinlich besser als Brasilien.

Artikel vom 21.06.2006