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Gefangen im Teufelskreis
gegenseitiger Abhängigkeit

Theatergruppe spielt »Geschlossene Gesellschaft«

Höxter (zim). Wie soll man sich die Hölle vorstellen? Mit ewiger Pein, lodernden Flammen, unerträglicher Hitze oder sogar mit dem Teufel persönlich? Der französische Philosoph und Schriftsteller Jean-Paul Sartre zeigt in seinem Theaterstück »Geschlossene Gesellschaft«, das jetzt von der Theatergruppe »Chamäleon« des Berufskollegs Höxter unter der Regie von Gerhard Antoni und Frauke Reede aufgeführt wurde, eine ganz andere Hölle.
Eine Hölle, die aus einem einzelnen grell-weißen Raum besteht, in dem drei Verstorbene aufeinander treffen. Estelle (großartig verkörpert von Anna Stemler) hat ihr Kind ermordet und den Vater des Kindes, ihren Geliebten, in den Tod getrieben. Der Journalist Garcin (hervorragend dargestellt von Ernest Gyapon-Quast ) hat seine Frau gequält und sich im Leben als Feigling erwiesen, während Inés (beeindruckend gespielt von Sylwia Brozynski) eine junge Frau verführt und sie ihrem Mann entfremdet hat, sodass diese von Schuldgefühlen geplagt nach dem Unfalltod ihres Mannes sich selbst und Inés mit Gas umgebracht hat. Die drei Personen versuchen, die Ursache der anderen für ihre Verdammnis herauszufinden, möchten sich aber ungern ihre eigene Schuld eingestehen. Zudem stellen sie sich auf körperliche Qualen ein, wie sie in der Hölle eigentlich zu erwarten sind. Doch diese treten für die Protagonisten überraschenderweise nicht ein.
Schnell müssen sie jedoch erkennen, dass die eigentliche Folter eine viel schlimmere ist: Keine physische, sondern eine psychische Folter, die sie sich gegenseitig aufbürden. Estelle begehrt Garcin ohne ihn tatsächlich zu lieben. Dieser jedoch sucht die Bestätigung durch die hochintelligente Inés, und diese wiederum stellt Estelle nach.
»Es fehlt hier jemand, der Folterknecht. Ganz klar eine Personaleinsparung. Die Kunden machen die Arbeit alleine, wie in Selbstbedienungsrestaurants«, stellt Inés zynisch fest. Die eigentliche Verdammnis besteht also in diesem Teufelskreis der gegenseitigen Abhängigkeit, denn nach und nach zählen nur noch die Urteile der anderen für die Wahrnehmung ihrer selbst, sodass die Protagonisten immer mehr aneinander und über sich selbst verzweifeln.
So schreit Garcin schließlich am Ende des Stückes den Zuschauern entgegen: »Die Hölle - das sind die anderen!«
Die Schauspieler ernteten für ihre eindrucksvollen Darstellungen gebührenden Applaus, denn die Theatergruppe hatte sich an ein besonders schwieriges Stück herangetraut, in dem sich die Dramatik allein durch die Kommunikation zwischen den Verdammten entwickelt und den Protagonisten so großes, schauspielerisches Können abverlangt wurde. Zudem gehörte auch das Management, also etwa Sponsoren zu finden und Plakate und Programmhefte oder das Bühnenbild zu gestalten, in ihren Aufgabenbereich, sodass Kultur und Ökonomie miteinander verbunden wurden. Die Umsetzung dieser Aufgaben und die Aufführung des anspruchsvollen Theaterstückes gelang allen Schauspielern mit Bravour.

Artikel vom 21.06.2006