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Famose Stimmung zum WM-Auftakt

Spontaner Autokorso in der Stadt -ÊJubel in Kirche und auf dem Schützenfest

Von Michael Delker
Gütersloh (WB). »Berlin, Berlin - wir fahren nach Berlin!« Bereits nach dem ersten deutschen Sieg bei der Fußball-Weltmeisterschaft kennt die Fußball-Begeisterung in Gütersloh keine Grenzen mehr.

Das Auftaktspiel in München war keine halbe Stunde abgepfiffen, da hatte sich in der City bereits der erste kleine Auto-Korso gebildet. Von Minute zu Minute wuchs die Schar der Fußball-Begeisterten an. Mit Schals und Fahnen bewaffnet bejubelten die Fans den 4:2-Erfolg der Klinsmann-Elf. Sogar ein Polizei-Bulli reihte sich in den Auto-Konvoi mit ein. Manch ein Passant schüttelte allerdings den Kopf. »Was wollen die jungen Leute erst machen, wenn die deutsche Mannschaft Weltmeister wird?«, fragte ein älterer Herr.
Vor dem 1:0 von Philipp Lahm war die Spannung in der Stadt greifbar. Auf dem Schützenfest in Kattenstroth war im Sektzelt kein Platz mehr frei, als mit dem Abspielen der Nationalhymnen der lang ersehnte Anstoß näherrückte. Umso ausgelassner war der Jubel in der sechsten Spielminute. Als ob der neue Schützenkönig gekürt worden wäre, lagen sich die Kattenstrother in den Armen. 1:0 für Deutschland. Besser hätte der WM-Auftakt nicht verlaufen können. Ähnlich famos war die Stimmung in der Trinitatis-Kirche am Brockweg. Dort hatten Harald Liepe, Maximilian Daßler und Christian Waschau eine außergewöhnliche Veranstaltung auf die Beine gestellt: Fußball in der Kirche. Nachdem zur Einstimmung ein Menschenkicker-Turnier mit zwölf Gruppen absolviert war, bat Pfarrer Stefan Salzmann -Êsalopp mit Turnschuhen gekleidet - zur Kurzandacht. Gleich beantwortete er die Frage, warum Fußball an einem so außergewöhnlichen Ort zu sehen ist. »Weil Fußball ein starkes Stück Leben ist«, erklärte Salzmann der Gemeinde und blendete - dem derzeitigen Freudentaumel in Deutschland zum Trotz - auch einige negative Aspekte nicht aus. Zu den dunklen Seiten des Fußballfestes gehörten die fast sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen, unter denen in anderen Ländern Fußbälle und Sportkleidung hergestellt würden. »Da mischt sich die Kirche ein und fordert menschenwürdige Lebensverhältnisse - zum Beispiel mit der Kampagne, nur Bälle mit dem Transfair-Siegel zu kaufen«, sagte der Geistliche. Eine weitere dunkle Seite sei der Sklavinnen-Handel, mit dem Prostituierte nach Deutschland geschleppt würden, um hier ihre Dienste anzubieten. Auch hier mische sich die Kirche mit einer Kampagne ein.
In den Fürbitten drehte sich ebenfalls alles um das runde Leder: »Gott, wir danken dir für die Lebensfreude, die das Fußballspiel in jungen Menschen rund um den Erdball weckt.« Welch Wahrheit in diesen Worten steckt, zeigte sich spätestens in der sechsten Spielminute, als sich die Fußball-Fans in der Trinitatis-Kirche jubelnd in den Armen lagen.

Artikel vom 10.06.2006