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»Illegale« Bilder aus dem Atomreaktor

Ausstellung mit Tschernobyl-Aufnahmen des Fotografen Igor Kostin im Wertheraner Rathaus

Werther (law). Unsichtbar und heimtückisch ist der Tod für viele Menschen, die nach dem ersten Super-GAU in der Geschichte der zivilen Nutzung der Atomenergie versuchen, die Schäden zu beseitigen. Am 26. April 1986 explodierte der vierte Reaktorblock des »Lenin«-Kernkraftwerkes in Tschernobyl in der Ukraine. In einer ganz besonderen und bewegenden Ausstellung zeigt die Stadt Werther im Rathaus Bilder aus den ersten Tagen nach der Katastrophe.

Eigentlich sehr gute Erinnerungen hat Bürgermeisterin Marion Weike noch an die ersten Tage im Mai des Jahres 1986. Als dann in den folgenden Tagen immer mehr Details über die bisher schrecklichste nukleare Explosion bekannt werden, steigt auch die Angst in Deutschland. Eine radioaktiv verseuchte Wolke zieht quer über Europa, auch in Deutschland wird beispielsweise den Kindern verboten, im Sandkasten zu spielen. Doch die Bilder aus Tschernobyl direkt sind noch weitaus schrecklicher. Teilweise mit freiem Oberkörper, später nur mit weitaus unzureichender Bleiverkleidung arbeiten bis zu einer Million junger Soldaten aus der gesamten Sowjetunion im Alter von 18 bis 20 Jahren an der Unglücksstelle. Maschinen und Roboter versagen und so müssen die so genannten »Liquidatoren« ran.
Der Fotograf Igor Kostin schoss in jenen Tagen direkt nach der Katastrophe Bilder, die um die Welt gingen, darunter auch das allererste Foto nach der Katastrophe überhaupt. »Natürlich war das komplett illegal«, berichtet Tanja Schuh, die den interessierten Besuchern am Donnerstagabend im Rathaus die Bilder erklärte. Die Slawistik-Studentin der Universität Bielefeld ist erste Vorsitzende der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft Bielefeld (DUGB) und referierte über die knapp 30 Bilder des Fotografen Igor Kostin, die bereits zuvor unter dem Titel »Strahlende Zukunft? Tschernobyl verändert die Welt« in der Altstädter Nikolai-Kirche zu sehen waren.
Viele Details konnte Tanja Schuh den Besuchern erzählen, immerhin ist sie selbst in der Ukraine geboren und zum Teil aufgewachsen. Die Bilder Kostins zeigen beeindruckend, wie naiv und ahnungslos die Menschen kurz nach der Katastrophe in Tschernobyl gearbeitet haben. Auf etlichen Bildern ist der total zerstörte vierte Block des Kernkraftwerkes zu sehen sowie Männer, die versuchten, mit Schaufeln und Hacken aufzuräumen. Andere Bilder zeigen Evakuierungsmaßnahmen oder beispielsweise durch die Strahlung übernatürliche große Fische, die mutierten.
»Mit dem Thema müssen wir uns einfach befassen«, erklärt Bürgermeisterin Marion Weike die große Bedeutung auch für die heutige Zeit, in der die Sicherheit der Kernkraft immer noch in Frage steht.

Artikel vom 10.06.2006