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Amokfahrerin
hörte Stimmen

Prozessauftakt vor Landgericht

Von Uwe Koch
Herford/Bielefeld (HK). Durch eine Geisterfahrt auf der Autobahn A 2 hat sich eine Frau aus Herford im Juni 2005 selbst töten wollen. Nur durch einen Zufall wurde niemand durch die Amokfahrt verletzt. Die 25-jährige gebürtige Kasachin muss sich seit Donnerstag vor dem Landgericht Bielefeld verantworten. Ihr droht die Unterbringung in der Psychiatrie.

1989 war Irina Z. (Name geändert) mit ihren Eltern nach Deutschland eingereist. Ohne Probleme hatte das Mädchen die Schule absolviert. Eine Ausbildung zur Rechtsanwalts- und Notarsgehilfin habe sie abgebrochen, da sie ständig von Kollegen »gemobbt« worden sei. Schließlich ließ sich Irina Z. seit 2002 zur Kosmetikerin ausbilden, war indes zuletzt arbeitslos.
Schon in jener Zeit habe sie unter psychischen Problemen gelitten, gestand die Beschuldigte gestern vor dem Schwurgericht des Landgerichts Bielefeld. Dabei habe sie sich sogar mit dem Konsum von Cannabis selbst behandelt, um Ruhe zu finden, die Drogen Ende 2004 jedoch wieder abgesetzt. Irina Z.: »Ich hatte Halluzinationen.« Obendrein hätten ihr »Stimmen Dinge befohlen, die ich machen sollte«. So habe sie sich beim spazieren gehen oder beim Einkaufen nicht nach ihrem freien Willen bewegen können. Die Stimmen - männliche, weibliche oder die von Kindern - hätten ihr den Weg vorgeschrieben.
Im Frühsommer 2005 sei ihr schließlich die Selbsttötung vorgegeben worden: »Mach' endlich Schluss mit dem Leben! - Bringe dich um! - Schneide dir die Pulsadern auf!« hätten die imaginären Befehle gelautet.
Am 25. Juni 2005 setzte Irina Z. diese Wahnideen (fast) in die Tat um. Mit dem Wagen ihrer Mutter steuerte sie um 21.20 Uhr von der Bundesstraße 239 bewusst in verkehrter Richtung auf die Autobahn 2, fuhr den Kia als Geisterfahrerin auf den entgegengesetzten Richtungsfahrbahnen nach Dortmund. In Höhe der Raststätte Herford steuerte sie unbeirrt mit Tempo 160 auf einen entgegenkommenden Wagen zu. Der Fahrer konnte in letzter Sekunde ausweichen.
Irina Z. verfolgte ihr irres Ziel weiter, wollte ein Taxi, einen mit sieben Personen besetzten VW Buli, frontal rammen. Der Fahrer des Taxi konnte zweimal die Spur wechseln, eine seitliche Kollision jedoch nicht ganz vermeiden. Alle Fahrgäste blieben unverletzt. Dann kam es doch zu einem Frontalzusammenstoß. Der Kia der Herforderin prallte auf einen VW Passat eines Familienvaters aus Lippe. Mit in seinem Wagen saßen die Ehefrau, das Kleinkind und die Schwester des Mannes. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Lediglich Irina Z. brach sich den linken Mittelfuß.
Seit der Tat ist die Frau in der Psychiatrie in Lippstadt-Eickelborn untergebracht. Dort wird sie therapiert und medikamentös behandelt. Ziel der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft Bielefeld - wegen dreifachen versuchten Totschlags kann die Beschuldigte nicht belangt werden - ist die dauerhafte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Den entsetzten Richtern erklärte Irina Z. übrigens gestern noch, sie sei während der Amokfahrt sogar angeschnallt gewesen. Der Prozess wird fortgesetzt.

Artikel vom 09.06.2006