10.06.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Betende Hände sind
Stumpen geworden

Ein kleiner Streifzug durch »Leere und Vision«

Von Hartmut Horstmann
Herford (HK). Verkehrsschilder, Reklametafeln, Skulpturen zur Herforder Stadtgeschichte, Schaufenster überfrachtet mit WM-Euphorie: In diesem Umfeld voller Zeichen und Hinweise müssen sich die Künstler der Ausstellung »Leere und Vision« behaupten.

Die Beiträge zur Kunst im öffentlichen Raum haben sich von der etablierten Wahrnehmungswelt zu unterscheiden - oder sie gehen unter. Bis zum 7. Juli sind die Arbeiten unter dem Titel »Connexions« im Radewig-Quartier zu sehen, und es fällt auf, dass wenige Künstler den auffälligen, Stadtbild prägenden Eingriff wagen.
Zu denen, die die Aufmerksamkeit nicht scheuen, zählt Peter De Cupere, dessen Madonnenfigur an der Ecke Brudtlachtstraße/Kleine Mauerstraße zu sehen ist. Zwar springt die Arbeit optisch nicht ins Auge, ja sie scheint sich in die Umgebung einzufügen. Doch das Material »Toilettenstein« lässt je nach Witterung keine Nase gleichgültig. Zudem löst sich die streng riechende Madonna allmählich auf, die betenden Hände sind zu Stumpen geworden.
Wohl kaum zufällig hat Peter De Cupere sein Material gewählt, das Toilettengeruch und Religion miteinander in Verbindung bringt. Bloße Lust an der Provokation? Diese Interpretation wäre zu einfach, denn auch im Verfall behält die Madonna etwas Ästhetisches. Ebenfalls eine für Nicht-Radewiger vergleichsweise schnell wahrnehmbare Veränderung des Stadtraumes nimmt Filip Vervaet mit seinem Kunst-Baum auf dem Gänsemarkt vor. Die »Pflanzung« setzt eine vorhandene Baumreihe fort - ein Kommentar zum Platz, der seiner Fertigstellung zu harren scheint. Ein paar Meter weiter steht eine Telefonzelle, deren Inneres das MARTa zum Thema hat. Ein Alltagsort wird zum Museum - gleichzeitig eine (übertriebene?) Verbeugung vor dem Veranstalter von »Leere und Vision«. Andere Künstler beziehen sich auf Schaufenster-Situationen. Beiträge wie die »Black Boxes« von Herman van Ingelgem fallen dem flüchtig vorbeigehenden Fußgänger nicht auf. Der Interessierte muss die »Leere und Vision«-Route mit einem Plan abgehen - Kunst im öffentlichen Raum, oft ein produktives Ärgernis, wird zum Suchspiel.
Aber das gezielte Abgehen der Stationen gehört für viele dazu. So bummeln Eva Witzok und Niklas Knop häufig durchs Quartier, suchen nach den Arbeiten. Ihr Blick fällt ins Schaufenster eines Fernseh-Geschäfts. Auf Monitoren wird der Film »Made in Belgium« gezeigt, doch angesichts der üppigen WM-Dekoration muss der Betracher genau hinschauen, um den Beitrag von Vincent Meesen wahrzunehmen.
Das Suchspiel zum Prinzip haben Charles Blondeel und Sarah Deboosere mit ihrem »Leuchtkasten« gemacht. Unter einer Treppe des Elisabeth-von-Pfalz-Berufskollegs findet sich das große Bild - für die Schüler ist dies Teil des Alltages, Außenstehende sind zur Entdeckung eines ungewöhnlichen Ortes aufgerufen.
40 junge Künstler, die die Kunsthochschule HISK in Antwerpen besuchten oder besuchen, beteiligen sich an der diesjährigen Ausstellung. Die angeführten Beispiele vermitteln einen Eindruck von der Vielfalt der Ansätze. Wer mit Faltplan und offenen Augen durchs Radewig-Quartier geht, wird die eine oder andere Anregung erhalten. Gleichwohl: Kunst lebt nicht nur von der Subtilität, einige deutlichere Eingriffe in den öffentlichen Raum wären für die Ausstellung kein Nachteil.

Artikel vom 10.06.2006