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Elke Fischer hat den Beitrag für diese Sonderseite geschrieben. Die Rechtsanwältin, die zusammen mit Dr. Reinhard Göhner im Hause der Volksbank in der Eschstraße 236 in Bünde arbeitet, ist zugleich auch Fachanwältin für Arbeitsrecht.

Spielregeln sind einzuhalten

Die Abmahnung - Ärgernis oder Wohltat für den Arbeitnehmer

Von Elke Fischer
Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber haben im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses jeweils eine Vielzahl von Spielregeln einzuhalten. Wie überall im menschlichen Miteinander, so kommt es auch im Arbeitsverhältnis gelegentlich zu Fehlverhalten, entweder auf Arbeitnehmer- oder auf Arbeitgeberseite.

Ausnahmsweise können Pflichtverstöße sofort den Ausspruch einer Kündigung rechtfertigen. Regelmäßig hat eine Abmahnung zu erfolgen, denn der Ausspruch einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses stellt immer das letzte Mittel der Sanktionierung eines Fehlverhaltens dar. Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist grundsätzlich nur dann zulässig, wenn zuvor mit milderen Mitteln erfolglos versucht wurde, den Ausspruch der Kündigung zu vermeiden.
Mit der Rüge wird die jeweilige Arbeitsvertragspartei darüber informiert, dass es sich bei ihrem beanstandeten Fehlverhalten um eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten im weitesten Sinne handelt. Zugleich wird davor gewarnt, dass eine Wiederholung oder Fortsetzung dieses vertragswidrigen Verhaltens zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen kann.
Zweck der Abmahnung ist damit letztlich eine Einflussnahme auf das Verhalten der Arbeitsvertragspartei, die dazu führen soll, dass das beanstandete Fehlverhalten künftig unterbleibt. Reagiert der Arbeitnehmer entsprechend der Warnung und richtet er sein Verhalten auf die Vermeidung des beanstandeten Fehlverhaltens aus, kann es - jedenfalls nicht aus den gerügten Gründen - zur Kündigung kommen. Damit dient die Abmahnung in erster Linie der Vermeidung des Ausspruches einer Kündigung, nicht eigentlich ihrer Vorbereitung.
Klassische Beispiele von arbeitnehmerseitigem Fehlverhalten sind verspätetes Erscheinen am Arbeitsplatz, Verstoß gegen das Verbot des privaten Telefonierens oder der privaten Internetnutzung, Alkoholkonsum am Arbeitsplatz und ähnliches. Dem gegenüber ist der Klassiker der Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber die nicht vollständige oder wesentlich verspätete Entgeltzahlung.
Eine Rüge, die den Anforderungen an eine Abmahnung genügen soll, ist an verschiedene Erfordernisse gebunden. Das Fehlverhalten muss jeweils ganz konkret und in allen Einzelheiten zutreffend formuliert sein. Deutlich muss die Warnung hinzugefügt werden, dass das Fehlverhalten den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet.
Grundsätzlich kann die Abmahnung auch mündlich ausgesprochen werden. Erfolgt sie schriftlich, stellt dies nicht nur eine Beweiserleichterung dar. Vielmehr ist der allgemeine Grundsatz zu berücksichtigen, dass das bloße gesprochene Wort eher flüchtig, Schriftliches also wesentlich nachdrücklicher ist. Weiter ist allerdings ein Fehlverhalten zeitnah zu rügen. Verstreichenlassen einer längeren Zeitspanne wird allgemein dahingehend verstanden, dass das Fehlverhalten wohl doch nicht allzu eklatant gewesen ist.
Selbstverständlich ist die Möglichkeit gegeben, eine Abmahnung gerichtlich zu überprüfen. Die zu unrecht erteilte Abmahnung verletzt den Abgemahnten in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Ziel ist es dann, die Zurücknahme der Abmahnung und ihre Entfernung aus der Personalakte einzuklagen.
Wer abmahnt, steht vor Gericht in der Verpflichtung darzulegen und auch zu beweisen, dass das gerügte Fehlverhalten in der gerügten konkreten Form tatsächlich vorgelegen hat.
Gelingt dieser Vortrag und Beweis nicht, ist die Abmahnung damit schlicht weg aus der Welt geschaffen. Für den Fall allerdings, dass sich vor Gericht herausstellt, dass tatsächlich die Rüge zu Recht erfolgt ist, bleibt nicht nur die Abmahnung erhalten. Vielmehr steht jetzt unwiderruflich fest, dass die abgemahnte Partei einen Pflichtverstoß begannen hat. Das kann der erste Schritt in Richtung Kündigung wegen eines Fehlverhaltens sein, allerdings erst dann, wenn es sich nicht um ein einmaliges Vorkommnis handelt. Derselbe Fehler muss mindestens zweimal dem Arbeitnehmer unterlaufen, bevor der Arbeitgeber berechtigt ist, zum Mittel der Kündigung zu greifen. Reagiert der Arbeitgeber also erst auf das zweite gleich gelagerte Fehlverhalten mit einer Abmahnung, dann hat der Arbeitnehmer schlicht weg Glück gehabt.
Nicht die Anzahl der Abmahnungen zählt, abzustellen ist auf die Art des Fehlverhaltens. Setzt der Arbeitnehmer beispielsweise heute durch Zuspätkommen den Grund für eine Abmahnung, erledigt er am Folgetag eine ihm zugewiesene Aufgabe einfach nicht und wird erneut abgemahnt, so muss er auch dann keine Kündigung fürchten, wenn er beispielsweise einige Tage erkrankt, hierüber den Arbeitgeber aber erst mit tagelanger zeitlicher Verzögerung unterrichtet. Zwar liegen drei Verstöße gegen Arbeitnehmerpflichten aus dem Arbeitsvertrag vor. Diese sind allerdings nicht gleich gelagert, sondern völlig unterschiedlich. Insoweit ist dem im allgemeinen weit verbreiteten Irrglaubens zu begegnen, nach drei Abmahnungen, egal aus welchem Grunde, könne automatisch die verhaltensbedingte Kündigung folgen.
Obgleich Abmahnungen sinnvollerweise dauerhaft zur Personalakte zu nehmen sind, verlieren sie dennoch mit Zeitablauf an Bedeutung. Regelmäßig kann man davon ausgehen, dass dann, wenn sich ein konkret gerügtes Fehlverhalten erst zwei Jahre später noch einmal wiederholt, kein verhaltensbedingter Kündigungsgrund gegeben ist. Für einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund ist es also erforderlich, dass sich konkret das abgemahnte Fehlverhalten innerhalb einer absehbaren Zeitspanne wiederholt.
Wenn die Rede von einem Fehlverhalten ist, dann beinhaltet dies zugleich auch die Feststellung, dass tatsächlich ein erwähnenswertes Vorkommnis vorliegt. Lappalien wie das morgendliche Grüßen vergessen aus Gedankenlosigkeit, reichen nicht aus. Schwieriger ist schon die Frage, ob ein Fehlverhalten nicht eventuell schon bereits so eklatant ist, dass es in seinem einmaligen Erscheinen ausreicht, um sofort als Konsequenz das Arbeitsverhältnisses zu beenden. Von besonders schwerwiegenden Fehlverhalten ist immer dann auszugehen, wenn der Vertrauensbereich nachhaltig berührt ist oder wenn die, gegebenenfalls auch möglichen, Folgen des Fehlverhaltens von besonderer Tragweite sind. Die Grenze ist insoweit fließend und geprägt von der Art des jeweiligen Arbeitsverhältnisses, seiner Dauer sowie anderen Besonderheiten. Doch der Arbeitgeber, der nach einem eklatanten Pflichtverstoß des Arbeitnehmers der Auffassung ist, mit diesem Arbeitnehmer nicht weiter zusammenarbeiten zu wollen, ist gut beraten, sogleich die verhaltensbedingte Kündigung auszusprechen statt zunächst eine Abmahnung zu erteilen. Soweit muss realistisch festgestellt werden, dass Trennungsabsichten sich selten beseitigen lassen.
Daraus ergibt sich des weiteren die Überlegung, dass der Erhalt einer Abmahnung für die jeweils abgemahnte Partei nicht grundsätzlich ein Ärgernis ist. Vielmehr ist mit der Erteilung der Abmahnung die Reaktion auf das Fehlverhalten grundsätzlich abgeschlossen. Das einmal abgemahnte Fehlverhalten ist gewissermaßen verbraucht. Besinnt sich der Abmahnende später darauf, dass er doch nicht gewillt ist, es bei dieser Rüge und Warnung bewenden zu lassen, hat er keine Möglichkeit mehr, auf das abgemahnte Fehlverhalten zurückzugreifen und es zum Anlass einer Kündigung zu nehmen. In der Abmahnung liegt gewissermaßen ein Kündigungsverzicht.
Wenngleich vorstehende Ausführungen sich in ihren Beispielen vielfach auf Abmahnungen von Arbeitgebern gegenüber ihren Mitarbeitern beziehen, so ist auch der Arbeitnehmer Mahnerfordernissen ausgesetzt. Zwar steht dem Arbeitnehmer im Unterschied zum Arbeitgeber grundsätzlich das Recht zu, sich durch fristgerechte Kündigungserklärung, vom Arbeitsverhältnis zu lösen.
Gelegentlich steht der Arbeitnehmer aber in der Situation, fristlos aus einem Beschäftigungsverhältnis ausscheiden zu wollen. Ein fristloses verhaltensbedingtes Kündigungsrecht steht dem Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber nur zu, wenn zuvor eine Abmahnung vorausgegangen ist und weitere gleich gelagerte Pflichtverstöße des Arbeitgebers erfolgen.
Im Ergebnis lässt sich folgendes zusammenfassen:Die Abmahnung ist oftmals für den Arbeitnehmer eine Wohltat, da sie Kündigungsvorwürfe verbraucht und von ihrem Sinn und Zweck her nicht der Vorbereitung einer Kündigung, sondern der Vermeidung einer Kündigung dient. Sie ist in ihrer Rügefunktion ein erzieherisches Mittel, stellt gleichzeitig eine ernstzunehmende Warnung dar. Sofern also die Abmahnung nicht eindeutig unberechtigt ist, ist es taktisch für den Arbeitnehmer unklug, hiergegen eine Klage zu erheben.
Für den sicher zur Trennung entschlossenen Arbeitgeber ist die Abmahnung aus taktischer Sicht häufig der falsche Weg, um seinen Trennungswunsch zu realisieren. Insbesondere wird hierdurch das Risiko, eine Abfindung zahlen zu müssen, nicht reduziert.
Für den Arbeitgeber macht die Abmahnung regelmäßig nur dann Sinn, wenn er entschlossen ist, den Arbeitnehmer zu behalten, und ihn damit gewissermaßen »erziehen« möchte.

Artikel vom 10.06.2006