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Erstes Fenster vor 1000 Jahren in Rom

Podiumsdiskussion in Brakel: große Zustimmung zu anonymer Geburt und Babyklappe in Höxter

Von Michael Robrecht
Brakel/Warburg (WB). Die Einrichtung einer Babyklappe am St. Ansgar-Krankenhaus in Höxter im Spätherbst (das WESTFALEN-BLATT berichtete mehrfach) hat große Zustimmung im Kreis Höxter gefunden. Das zeigte sich während der Podiumsdiskussion zum Thema »Anonyme Geburt« in Brakel, als Prof. Dr. Werner Bader die 80 Diskussionsteilnehmer spontan fragte, wie sie das Vorhaben bewerten. Einstimmig votierten die Zuhörer für das Babyfenster.

Der Höxteraner Chefarzt (Gynäkologie/Geburtshilfe) sowie Rechtsanwältin Katharina Koch, Felicitas Schimmel (FU), Ortrud Stellmann (CDL) und Linda Papenberg (Kinderschutzbund) brachen vor einem diskussionsfreudigen Publikum (viele Hebammen, Krankenhauspersonal, caritative Verbände) eine Lanze für die anonyme Geburt (eine Frau bringt ihr Kind im Krankenhaus zur Welt und verschwindet dann ohne ihren Namen zu hinterlassen) und die Babyklappe (Frau/Mann legen Kind ab, ohne verfolgt zu werden). Bader zeigte ein Foto eines 1000 Jahre alten Babyfensters aus der römischen Kirche St. Spirito - »So lange gibt es eine solche Hilfe für Babys schon«.
In Höxter habe es für eine anonyme Geburt bisher keine Anfrage einer Frau gegeben, sagte der Chefarzt. In Frankreich habe man nach der gesetzlichen Regelung 600 pro Jahr gezählt. Für Ortrud Stellmann (CDL) ist es deshalb wichtig, dass die Große Koalition anonyme Geburten in Deutschland gesetzlich regelt und von einer Strafe freistellt. CDU-Fraktionschef Kauder habe der Kreis-CDL dies in einem Brief angekündigt.
Durch eine anonyme Geburt geschützt werden sollen in Zukunft schwangere Frauen, die bedingt durch eine Notlage heute noch heimlich irgendwo entbinden - ohne fachliche Unterstützung und menschliche Wärme für sich und ihr Baby zu erfahren. Das habe oft fatale Auswirkungen, so das Podium. Die legale anonyme Geburt soll das Entbinden für Frauen in einer gesicherten Atmosphäre (Klinik) ohne Preisgabe der persönlichen Identität endlich regeln und gewährleisten bzw. die Möglichkeit bieten, das Neugeborene versorgt zurück zu lassen.
Ausgesetzte, gesundheitsgeschädigte oder zu Tode gekommene Babies und Mütter, die aufgrund von Verletzungen nach einer unbetreuten Geburt Schaden erleiden, sollen bald der Vergangenheit angehören, hoffen die Podiumsteilnehmer, die auf Einladung von Frauenunion und CDL in Brakel debattierten. Dass es Fälle auch im Hochstift gibt, zeigte das ausgesetzte Baby von Bad Driburg und das vor vier Wochen im Moses-Babyfenster in Paderborn abgegebene Kind.
Anwältin Katharina Koch wies darauf hin, dass die Ablage eines Babys im Fenster juristisch ein Verstoß gegen das Personenstandsgesetz, also eine Ordnungswidrigkeit, sei - mehr nicht. Wie Prof. Bader herausfand, bieten bundesweit 60 Kliniken eine Babyklappe an. »Im großen Kreis Höxter ist eine Klappe wichtig«, meinte eine Zuhörerin. Walburga Hennemann (SkF) formulierte es so: »Die Frau will nicht ihrem Kind gegenüber anonym bleiben, sondern gegenüber der Gesellschaft; und das sind wir.«
Interessant auch die Information, dass trotz der Babyklappen die Zahl der Kindstötungen seit 1990 jährlich bei um die 20 bundesweit konstant geblieben ist. 1973 waren es noch 53 pro Jahr, 1950 sogar 150! Jahrhundertelang gaben Mütter ihre Kinder auch in Klöstern ab, deren Funktion in Sachen Findelkinder heute die Krankenhäuser übernommen haben.

Artikel vom 09.06.2006