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»Unsere Babys« wie in der Familie

Abt-Kruse-Kindergarten: Erfahrung mit der kleinen altersgemischten Gruppe

Von Monika Schönfeld
(Text und Fotos)
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). Andrea Wodtke und ihr Team aus dem Abt-Kruse-Kindergarten haben zu Beginn des Kindergartenjahrs Neuland betreten. Nach fast einem Jahr Erfahrung mit der kleinen altersgemischten Gruppe ist die Leiterin des Kindergartens begeistert. »Die Kinder haben ein Sozialverhalten entwickelt - das ist sagenhaft.« Wie Geschwister leben Babys im Alter ab vier Monaten mit Kindergartenkindern bis zum Alter von sechs Jahren zusammen. »Der Zusammenhalt ist toll, die Großen nehmen auf die Kleinen Rücksicht und jeder hilft jedem.«

Als es vergangenes Jahr darum ging, erstmals in der Geschichte der Schloß Holte-Stukenbrocker Kindergärten eine kleine, altersgemischte Gruppe einzurichten, hat sich der katholische Abt-Kruse-Kindergarten sofort mit einem Konzept beworben. »Wir haben die Notwendigkeit gesehen. Einige Familien brauchen Betreuung schon für die Kleinsten. Allerdings war dieser Schritt auch notwendig, um Arbeitsplätze zu sichern. Wegen des demographischen Wandels mit immer weniger Kindern drohte den Kindergärten eventuell, dass Gruppen geschlossen werden müssen«, so Andrea Wodtke. Sie ist seit zwei Jahren Leiterin des Kindergartens und hatte vorher schon in Bielefeld Erfahrungen mit altersgemischten Gruppen gesammelt.
»Es war ein Pokern«, erinnert sich Andrea Wodtke. »Große Klasse, wie sich Pfarrer Bernhard Hamich in Paderborn für die kleine altersgemischte Gruppe eingesetzt hat.« Denn die Kirche tat sich etwas schwer, schon kleine Kinder nicht in den Familien betreuen zu lassen.
Die Zeit war vergangenes Jahr knapp, Andrea Wodtke hatte eine komplette Kindergartengruppe »in der Warteschleife«, plante zweigleisig und setzte auf »volles Risiko«. »Ich hatte schon vorher Mitarbeiter zu Schulungen geschickt und eine zusätzliche Mitarbeiterin eingestellt, aber noch nicht mit Vertrag. Eltern und Mitarbeiterin drängten, wollten verständlicherweise wissen, woran sie sind.« Der Zuschlag kam am 15. Juli 2005 - zwei Wochen vor Beginn des Kindergartenjahrs. »Das Team hat voll mitgezogen, der Pfarrer sagte immer: Zieht es durch.« Turbulente Zeiten - denn dann musste alles für die Bedürfnisse der Kleinsten hergerichtet werden.
Die Kleinen stellten sozusagen den ganzen Kindergarten auf den Kopf. Nicht nur, dass die Räume umgestaltet werden mussten - ein Schlafraum musste her, Mittagessen beim Caritas-Altenheim bestellt werden, Betten und Wickeltische, Hochstühle, Kinderwagen und Geschirr angeschafft werden. »Viel haben uns Eltern geschenkt, die Stapelbetten stammen aus dem Kindergarten St. Achatius. Einen Zwillingskinderwagen könnten wir noch gebrauchen - möglichst kostenlos«, wirft die Kindergartenleiterin ein. Neben diesen Dingen mussten die Gruppen neu gebildet werden. Damit niemand ein Anhängsel oder Fremdkörper in einer anderen Gruppe wurde, nannten sich die Bären und Igel zusammen gefasst Delphine, die Eichhörnchen wurden zu Bienen, die Mäuse wollten Mäuse bleiben und die Kinder der altersgemischten Gruppe wurden die Schnecken. In der Tagesgruppe sind die acht Kinder im Alter unter drei Jahren, die sieben Drei- bis Sechsjährigen sind noch Kindergartenkinder, sollen aber in die Tagesgruppe wachsen.
Bevor die Kinder aufgenommen worden sind, hat Andrea Wodtke mit den Kolleginnen alle Kinder im Elternhaus besucht, den ersten Kontakt zu den ganz Kleinen aufgenommen. Auf jedes Kind muss besondere Rücksicht genommen werden, auf Gewohnheiten, Vorlieben, medizinische Notwendigkeiten und Essgewohnheiten.
»Wir haben gemeinsam Neuland betreten. Die Kooperation mit dem Jugendamt ist super, wir sind gemeinsam gewachsen und haben noch einige Aufgaben vor uns. Wir sind ein integrativer Kindergarten - und nehmen auch Kleinkinder mit Behinderungen auf. Dafür gibt es aber noch keine Regelungen und keine Erfahrung. Irgendwann wird das aber auch auf uns zukommen.«
Der Tagesablauf der kleinen altersgemischten Gruppe unterscheidet sich natürlich von dem der Kindergartengruppen. Die Kinder sollen in der Zeit von 7.15 bis 9 Uhr gebracht werden, damit die Begrüßung mit allen Kindern gemacht werden kann. Die Großen frühstücken in der Halle, die Kleinen in der Gruppe. Einige Kinder schlafen morgens erst noch mal eine Runde. »Wir lassen uns auf den Rhythmus der Kinder ein. Es ist faszinierend, den Übergang zu beobachten, wenn die Kleinen das erste Mal mit den Großen frühstücken dürfen. Mut und Selbstständigkeit gehören dazu.«
Das Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich innerhalb dieser Gruppe entwickelt hat, begeistert die 46-jährige Kindergartenleiterin. Die Kleinen werden von den Großen als »unser Baby« behütet - auch Kinder, die zu Hause die Nesthäkchen sind, haben Spaß daran, mit den Kleinen zu spielen, sich um sie zu kümmern. »Die Kleinen werden einbezogen - es ist ein Wir-Gefühl entstanden.« Wenn eine Geschichte vorgelesen wird, kuscheln die Großen mit den Kleinen, die nicht alles verstehen, aber die Atmosphäre genießen.
Andrea Wodtke ist Erzieherin, Betriebswirtin und war auch in der Altenarbeit tätig. Sie will mit dem Team des Kindergartens weiter Verantwortung übernehmen und die Einrichtung zum Familienzentrum machen. Das will sie nicht übers Knie brechen, sondern gemeinsam angehen. »Das rundet die Sache ab«, sieht sie die Entwicklung aber kommen.
Andrea Wodtke arbeitet mit im Lokalen Bündnis für Familie, leitet den Arbeitskreis für die Kinder im Alter unter sechs Jahren und ist damit auf Augenhöhe der Bedürfnisse von Eltern und Kindern.

Artikel vom 03.06.2006