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Mit Frust und neuem Kampfesmut

Weserstadion: Jens Wiegmann greift nach langer Verletzungspause wieder an

Von Ingo Notz
Espelkamp (tz). Es war eine Mischung aus offensichtlichem Genervtsein, Frust und neuem Kampfesmut, die in Jens Wiegmanns Gesicht geschrieben stand, als er am späten Samstagnachmittag durch den Eingang des Mindener Weserstadions ging.

Das strahlende Lächeln vergangener Tage war genau das: vergangen . . . Zu lange währt die Leidenszeit von Behindertensport-Star Jens Wiegmann nun schon, als dass er völlig frei auf die Bahn treten könnte. Aber immerhin: Er ist wieder da - wenn auch der Weg zurück noch lang ist.
Allein die Tatsache, dass Jens Wiegmann am Samstag nicht in zivil, sondern mit Spikes und Sprinterdress in Minden anwesend war, war alles andere als selbstverständlich. Wie es in ihm in den vergangenen Monaten, ja Jahren ausgesehen haben mag, lässt nur der herausgepresste Satz erkennen: »Ich war drauf und dran, alles in die Ecke zu werfen. . .!«
Der Rücktritt - viel mehr als nur eine theoretische Überlegung. Viel fehlte nicht nach zwei Jahren voller Pleiten, Pech und Pannen - vor allem gesundheitlicher Natur. Der Schock aus dem vergangenen Frühjahr hat Spuren hinterlassen, als bei einer Blutkontrolle ein vielfach erhöhtes Herzinfarktrisiko beim Leistungssportler Wiegmann festgestellt worden war.
Die Reaktion war ebenso schnell wie richtig: Wiegmann sagte sofort die gesamte Saison ab - und kämpfte danach erst einmal einen anderen, weit wichtigeren Kampf als auf der Tartanbahn, die Jahre lang sein Zuhause gewesen sind. Der Kampf um die Gesundheit stand im Vordergrund. Arztbesuche statt Trainingspläne - nicht gerade das, was sich der zweifache Ex-Weltmeister und Paralympics-Starter für die WM und auch die EM vorgestellt hatte. Ursache der Probleme? Unbekannt.
In diesem Jahr kam passenderweise am ersten Tag des Trainingslagers im Frühjahr der nächste Rückschlag - gerade, als Jens sein Comeback in Angriff nehmen wollte, zwang ihn ein tief liegender Muskelfaserriss zu einer mehrwöchigen Pause. Das in Verbindung mit dem frühen Termin für die Normerbringung für die WM in Assen war zuviel für den Läufer in Lauerstellung. Nach dem ersten Schock und Frust hat sich Jens jetzt mit dem Stand der Dinge, den er eh nicht mehr ändern kann, arrangiert. »Es ist halt jetzt ein Zwischenjahr. Das ist schade, aber ich kann nichts dafür. . .«
Das erste Rennen über seine neue Schwerpunktstrecke, die 400 Meter, war in Minden dann auch noch weit von seinen normalen Zeiten entfernt - nach 62.02 Sekunden blieb die Uhr für Wiegmann im Weserstadion stehen. »Ich hatte so um die 60 Sekunden geplant, es ist halt schwer, nach anderthalb Jahren wieder reinzukommen. Da kannst Du nicht einfach so mit dem Finger schnippen. . .« Auf den ersten 250 Metern sah der Lauf dabei schon/noch gut aus, ehe sich der Trainingsrückstand bemerkbar machte und Wiegmann sich mit verbissenem Gesichtsausdruck förmlich ins Ziel schleppte. Das erste Ziel erreicht - das neue Jahresziel im Blick: die DM Ende August. »Bis dahin muss ich nur gesund bleiben und Richtung 58er-Zeit kommen. Ab 2007 ist dann schon der Quali-Start für die Paralympics 2008 in Peking. Da musst Du eine 55,5 oder eine 55 tief laufen, um dabei zu sein. Ich setze mich jetzt aber nicht unter Druck, sonst kriege ich wieder einen Drehwurm. Wichtig ist, dass ich mal gesund bleibe - es hilft ja nichts, wenn ich krank starte. Das hab ich nicht mehr nötig. Ich will jetzt erst einmal wieder auf die Beine kommen und sehen, wo ich bei den Deutschen Meisterschaften in Leverkusen landen werde. Das Wichtigste ist, dass ich jetzt wieder Spaß habe.« Minden, dann Nammen und Bad Oeynhausen über Pfingsten - für den Ex-Champion erste kleine Schritte auf dem langen Weg zurück in die Weltspitze. . .

Artikel vom 01.06.2006