27.05.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Ekel vor dem Leichten

Literaturkritiker Thomas Wörtche beim Krimi-Sommer

Von Elisabeth Jürgens
Gütersloh (WB). Unter der Überschrift »Hopp oder Topp« fand am Mittwochabend im Café Mittendrin in der Stadtbibliothek eine weitere hochkarätige Veranstaltung des Krimi-Literatursommers statt.

Thomas Wörtche, Deutschlands Krimikritiker Nr. 1 - eine Bezeichnung, die er selber gar nicht gerne hört - unternahm im Dialog mit Elke Corsmeyer, der Vorsitzenden des Literaturvereins, einen geistreichen Streifzug durch die internationale Krimiszene. »Nicht alles, was sich gut verkauft, muss schlecht sein und umgekehrt« - unter dieser Prämisse nahm er diverse Krimiautoren unter die Lupe und erzählte, wie er begonnen hatte, Krimis zu lesen. Die Stammväter der Krimiliteratur oder besser: »Spannungsliteratur«, wie Wörtche sagte, Conan Doyle, Agatha Christie und Dashiell Hammett gaben auch der »seriösen Literatur« wichtige Impulse.
Allerdings: Die Unterscheidung zwischen Literatur und Krimi, die oft gemacht wird, erzeugt eine Hierarchie, und gegen Hierarchien ist Wörtche höchst allergisch. Es gebe in Deutschland einen »Ekel vor dem Leichten«, führte er aus. Wer was von Ästhetik verstehe, sei der Bessere, auch moralisch - dabei gebe es keine strukturellen Unterschiede zwischen Roman und Krimi. Wörtche, der promovierter Germanist ist und Philosophie studiert hat, muss es wissen!
Elke Corsmeyer sprach ein neues, trauriges Thema an: Krimi-Reihen sterben, Autoren werden nicht mehr aufgelegt, große Namen verschwinden. Auch dazu nahm Wörtche kenntnisreich Stellung. Sein Rezept dagegen: Er ist seit dem Jahr 2000 Herausgeber der Krimi-Reihe »metro« im Unionsverlag Zürich. Diese Reihe ist sehr international angesiedelt, in der Form sehr vielfältig - ein Genre-Mix. Angefangen mit einem Vampirroman aus Hongkong sind bisher 120 Titel erschienen, latein-amerikanische, afrikanische und asiatische Krimis - demnächst wird es eine Überraschung aus der Türkei geben. Jean Claude Izzo ist das Zugpferd in der Reihe, bei dem »Kommerz und Qualität zusammengehen«, wie Wörtche sagte. Auch Namen wie Helen Zahavi und Walter Mosley sind bekannt, eher Geheimtipps sind dagegen Jerry Raine und Stan Jones.
Zu guter Letzt bekamen die Zuhörer von Wörtche Statements zu aktuellen Krimi-Autoren zu hören, einige seien hier genannt: Carl Hiaassen (»Der Reinfall«), ist einer seiner Favoriten, Andrea Maria Schenkels »Tannöd« sehr sprachsensibel, intelligent erzählt. Arne Dahl (»Rosenrot«), hat ihn nicht sehr beeindruckt - Schwedenkrimis bezeichnete er als »Altherrenprosa«. Ian Rankin findet sein Wohlgefallen, und Fred Vargas schreibt faszinierend, verwirrt das Publikum. Bei ihr wimmele es an Ideen, auf 20 Seiten mehr als bei anderen auf 100.

Artikel vom 27.05.2006