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DVD-Bilder werden als
Beweismittel zugelassen

Bundesgerichtshof hebt Urteil aus dem Jahr 2004 auf

Von Wolfgang Wotke
Gütersloh/Wiesbaden (WB). Der heimtückische Mord an den ehemaligen Gütersloher Kickbox-Weltmeister Ali Senel muss neu aufgerollt werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hob jetzt das Urteil des Landgerichtes Darmstadt vom 11. August 2004 auf.
Vertritt die Witwe: Rechtsanwalt Eliyo Cetin. Foto: Wotke
Wurde erstochen: Ali Senel (38) aus Gütersloh.

Das bestätigte Rechtsanwalt Eliyo Cetin (34) aus Gütersloh, der die Ehefrau des Opfers, Sema Senel (»Ich will Gerechtigkeit«), als Nebenklägerin vertritt. Die Richter hatten damals den mutmaßlichen Täter Abidin Ü. (36) in einem langen Indizienprozess wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Wie bereits berichtet, kam es am 12. April 2004, einem Samstagabend, im Rahmen eines Kickbox-Turniers in der Allzweckhalle in Egelsbach (bei Wiesbaden) gegen 22 Uhr zu einem verbalen Streit zwischen Sportlern, Trainern und Zuschauern aus Hagen und Wiesbaden. Eine umstrittene Entscheidung eines Kampfrichters löste dann bei den Beteiligten, wovon einige unter massiven Alkoholeinfluss standen, eine Massenschlägerei aus. Ali Senel, der als Betreuer des Hagener Teams angereist war, wollte schlichten. Plötzlich sackte der Gütersloher blutüberströmt im Ring zusammen. Er wurde von einem bis zu diesem Zeitpunkt unbekannten Mann mit einem Springmesser in den Rücken und in das Herz gestochen. Der dreifache Familienvater, der einst Kickbox-Welt- und Europameister war, in Gütersloh lebte und ein Sicherheitsbüro unterhielt, verstarb trotz intensiver ärztlicher Bemühungen kurze Zeit später in einem Offenbacher Krankenhaus.
Die Kripo nahm wenige Wochen nach dem Mord den damals 33-jährigen Türken Abidin Ü. in seiner Wiesbadener Wohnung fest. Die Ermittler waren schnell auf seine Spur gestoßen, weil man sofort nach der Tat ein Videoband erhielt, auf dem die entscheidenden Szenen festgehalten wurden. »Die Identifizierung war nicht einfach, weil ohne Hilfe von modernster Technik Personen nicht zu erkennen gewesen wären«, erklärte der Wiesbadener Polizeisprecher Josef Michael Rösch. Der mutmaßliche Mörder, der bis heute die Tat bestreitet, ist für die Polizei kein Unbekannter. Rösch: »Er ist wegen etlicher Körperverletzungsdelikte vorbestraft.«
Seine Verteidiger hatten am letzten Verhandlungstag einen Beweisantrag gestellt, der abgelehnt worden war. Die Anwälte forderten, eine angefertigte DVD, die drei Minuten lang die dramatischen Geschehnisse des Abends zeigt, in 1800 Einzelbilder zu zerlegen. Nur so könne man den wahren Täter entdecken. Rechtsanwalt Eliyo Cetin: »Die Sequenzen, die das Gericht damals für das Urteil zugrunde legte, sind undeutlich. Es ist kein Messer zu erkennen.« Darauf seien nur so genannte »Stichbewegungen« zu sehen.
Der BGH hob das Urteil auf, weil er der Meinung ist, dass die Darmstädter Richter mit der Erstellung der Einzelbilder die letzte Möglichkeit der eindeutigen Aufklärung nicht genutzt hätten. Immerhin, so steht es in der Begründung, gehe es um das Urteil »Lebenslänglich«. Da müssten alle Möglichkeiten der Aufklärung in Betracht gezogen werden.
Inzwischen wurden immer mehr Einzelheiten des Tatherganges bekannt. Cetin sagte dem WESTFALEN-BLATT, dass Ali Senel, nachdem er die Streithähne auseinanderbringen wollte, aus unbekannten Gründen plötzlich zum Mittelpunkt der Auseinandersetzung im Ring wurde. »Auf den Videobildern ist eindeutig zu erkennen, dass er von mehreren Personen minutenlang geschlagen und getreten wurde. Sogar den Pokal schlug man ihm mehrmals auf den Kopf.« Das habe auch das Ergebnis der Obduktion bestätigt. Die Gerichtsmediziner stellten unzählige Risswunden, Blutergüsse und Prellungen am ganzen Körper fest. Doch tödlich sei der Stich ins Herz gewesen.
Vor einigen Tagen, so ein Gerichtssprecher, sei die besagte DVD an die Experten des Bundeskriminalamtes geschickt worden. Und die hätten bereits signalisiert, dass es unmöglich sei, daraus 1800 Einzelbilder zu fertigen. Dann, so sagen die Fachleute der Bundespolizei, sei gar nichts mehr zu erkennen. Der neue Prozess mit zwölf Verhandlungstagen beginnt am Freitag, 2. Juni, vor einer anderen Kammer des Landgerichtes Darmstadt.

Artikel vom 25.05.2006