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Wittekindshof blickt in die Nachkriegszeit

Ex-Bewohner beklagt Misshandlung

Von Thomas Hochstätter
Bad Oeynhausen (WB). Die diakonische Stiftung Wittekindshof muss sich mit ihrer Vergangenheit befassen. Ein ehemaliger Bewohner berichtet von Misshandlungen, Ausbeutung und sexueller Belästigung in den vierziger bis sechziger Jahren. Vorstandssprecher Horst Ritter teilte daraufhin mit, es sei ein Historiker beauftragt worden, die Lebensumstände auf dem Wittekindshof in der Nachkriegszeit aufzuarbeiten.

Der Mann, der am Wittekindshof kein gutes Haar lässt, ist 62 Jahre alt, und hat nach eigenen Angaben von März 1948 bis April 1966 auf dem Wittekindshof gelebt. In seinem Text heißt es: »Die Wochen und Monate dauernden Misshandlungen, Quälereien und persönlichen Demütigungen überschreiten das menschlich Erfassbare.« Er habe gelernt, dass eine Einrichtungsbezeichnung nichts darüber aussage, was wirklich dort geschehe. »Im Namen von Heilung wurde getreten und geschlagen und unter Drogen gesetzt.« Er habe das damals keinem erzählt, weil er nicht gewusst habe, wie er das hätte sagen können. »Ich habe zwar richtig darunter gelitten, aber ich kannte keine Worte dafür.«
Unter anderem seien dreimal täglich Psychopharmaka an Kinder verabreicht worden, von denen 18 von nur zwei Diakonen betreut worden seien. »Manche Kinder standen unter tablettenbedingten Wahrnehmungsverlusten, so dass einige die Treppe hinunterstürzten oder im Flur einfach zusammensackten.« Im Schul- und Konfirmandenunterricht seien die Kinder geschlagen und ins Kreuz getreten worden. »Ab 19 Uhr war Nachtruhe. Wer beim Sprechen ertappt wurde, musste sich in Unterhemd und Unterhose auf den Flur begeben, sich nackt ausziehen und im Flut stehen, und zwar so lange, bis man nicht mehr konnte.«
Pfarrer Horst Ritter stellte fest, das, was der Mann beschreibe, stelle eindeutig eine Verletzung der Menschenwürde dar und sei unvereinbar mit dem christlichen Menschenbild. Gleichwohl sei festzuhalten, dass es keine Belege für die Vorwürfe gebe, die »wenn sie bekannt geworden wären, auch damals Kündigungen nach sich gezogen hätten«, so der Vorstandssprecher. Ritter teilte mit, er habe den Mann zu einem persönlichen Gespräch in die diakonische Stiftung eingeladen. Seine Lebensgeschichte solle »in ihrer Ganzheit ernst genommen« werden.
Der vollständige Bericht ist mit dem Suchbegriff »Wittekindshof« auf der Internetseite des Bundesverbandes Psychiatrieerfahrener zu finden. Der ehemalige Bewohner war am Montag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.
www.bpe-online.de

Artikel vom 23.05.2006