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Der Schmerz der Liebenden

Klassische chinesische Musik auf Gut Winkhausen

Von Rainer Maler (Text und Foto)
Salzkotten (WV). Klassische chinesische Musik ist nicht Jedermanns Sache - fremdartige Zupfinstrumente, exotische Blasinstrumente und eigenwillige Töne.

Auf Gut Winkhausen bei Salzkotten gab die in Deutschland lebende Musikerin Xu Fengxia ein Konzert, begleitet von den chinesischen Altmeistern Lu Chunling und Li Yi sowie ihrer Partnerin Zhang Zhenfang auf der chinesischen Kniegeige, das Klassik und Avantgarde harmonisch versöhnte und die Zuhörer begeisterte.
China, Reich der Mitte, in den siebziger Jahren im Westen als Land der gelben Gefahr beargwöhnt, heute oft fälschlich nur Inbegriff für gefälschte Rolex-Uhren und rasante Wachstumsraten, besitzt eine jahrtausendealte Kultur mit einem reichen Werk traditioneller Musik. Liebeserfahrungen und Naturbeschreibungen in bester buddhistischer Tradition prägen die Kompositionen. Titel wie »Pflaumenblüte«, »Der Mond spiegelt sich in der Quelle« oder »Weinen am Fluss« legen beredt Zeugnis von dem hohen Stellenwert der Natur in der chinesischen Musik ab. Mal nehmen den Zuhörer harmonische Kadenzen mit auf eine geistige Reise durch tropische Flusslandschaften, andere Kompositionen lassen den Schmerz der Liebenden ahnen, wenn Flötentöne herzzerreißende Tonhöhen streifen und eine Ahnung vom Trennungsschmerz der Liebenden vermitteln.
Die Welt strenger Rituale des Kaiserreiches, beschrieben in Bertoluccis Verfilmung »Der letzte Kaiser« und anderen Klassikern chinesischer Filme wie »Die rote Laterne«, ersteht vor dem geistigen Auge. Xu Fengxia moderierte die Lieder an, gab kurze Zusammenfassungen der Texte und ihrer historischen Hintergründe mit sichtbarem Vergnügen.
In ihren Solostücken verband sie Avantgarde und Tradition auf ihrer Guzheng, einer Art liegenden Harfe. In einem ganz eigenen Stil mischte sie Elemente aus Jazz, neuer Musik, Blues, mal weiche softe Töne, dann wieder schien sie den weiblichen Miles Davis auf einem Zupfinstrument zu mimen. Mal streichelte sie ihre Guzheng, dann riss sie fast zornig an den Seiten, zersägte, zerbiss die Töne und mit ihrem eigenwilligen Sprechgesang verlieh die bekennende Buddhistin einem tibetanischen Gebet Authentizität.
Heimlicher Star des Abends aber war der 85-jährige Musikprofessor Lu Chunling. Er ist ein Meister auf der klassischen Bambusflöte Dizi. Vital und virtuos flogen seine Finger über das schlanke Instrument, schier unglaublich die Geschwindigkeit des alten Mannes, der sich täglich mit Tai Chi fit hält. Die Kompositionen, oft weit über 1000 Jahre alt, erzählten von Liebe, Trennung, Einsamkeit und der Sehnsucht nach dem Liebsten, der in der Ferne weilt.
Als Zugabe gab Lu Chunling mit breitem Pinsel eine kurze Einführung in die Kalligraphie, als deren Meister er für seine Werke in China hohe Preise erzielt.

Artikel vom 23.05.2006