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Immer die letzte Sekunde

Sein Gesicht ist völlig leer. Arne Niemeyer war nicht wieder zu erkennen. Der Kapitän leistete sich sogar nie gesehene Fehlpässe zwei Meter über seine Mitspieler. Fotos: Bernd Horstmann

GWD Minden unterliegt Nordhorn mit dem Schlusspfiff 26:27

Von Volker Krusche
Minden (WB). Würden in Minden die letzte Sekunde der Bundesligaspiele abgeschafft, die Mannschaft hätte längst den Klassenverbleib unter Dach und Fach gebracht. Doch wie schon gegen Göppingen und Wilhelmshaven, so zahlten die Handballer von GWD auch am Samstag gegen die HSG Nordhorn Lehrgeld, als sie zum nunmehr dritten Mal in der Rückrunde in der Schlusssekunde bezwungen wurden. 2800 Zuschauer wirkten wie gelähmt, als Jan Filip mit dem Schlusspfiff zum glücklichen 27:26 (10:9) in die Maschen der »Grün-Weißen« traf.

Lehrgeld bezahlt. Nein, diese Aussage wollten die maßlos enttäuschten Fans nicht gelten lassen, schließlich muss man aus Fehlern lernen. Und das haben die Hausherren scheinbar immer noch nicht getan. Manager Günter Gieseking war außer sich und traf in seiner Rage den Nagel wohl auf den Kopf. »Der darf nie und nimmer zum Wurf kommen. Der muss schon vorher flach liegen!« Natürlich meinte er damit kein brutales Foul an Filip, sondern eine Störattacke, die es dem Tschechen unmöglich gemacht hätte, den Ball aus ziemlich spitzem Winkel ins lange Eck zu versenken. Denn als die Gäste nach dem 26:26-Ausgleich durch den einzigen echten Lichtblick im Mindener Spiel, Linkshänder Jan-Fiete Buschmann, Anwurf hatten und Trainer Ola Lindgren seine Jungs bei der folgenden Auszeit - 19 Sekunden vor Schluss - einschwor, da war spätestens beim »Anstoßen« auf die Mindener Deckung klar, dass die Grafschafter Jan Filip zum Wurf kommen lassen wollten. Doch Andreas Simon war viel zu brav und zu zahm, als dass er Nordhorns Vorhaben hätte verhindern können. Filip konnte ohne Gegenwehr abziehen. Das war zu einfach, das war zu billig. So dumm und leichtfertig darf man keine Punkte verschenken.
Die gesamte Partie verlief eng. Mal hatte GWD die Nase vorn, mal die HSG. Doch die Hausherren boten bis auf die exzellente kämpferische Einstellung einmal mehr nur eine mittelprächtige Leistung. Gerade im ersten Abschnitt übertraf man sich wieder an Harmlosigkeit vor dem Nordhorner Kasten. Dabei hatte alles - wie auch gegen Wilhelmshaven - so vielversprechend begonnen. 6:3 hieß es nach elf Minuten, als sich Stephan Just per Konter sogar das 7:3 bot. Doch Peter Gentzel, der kurz zuvor für den glücklosen Jesper Larsson zwischen die Pfosten ging, hatte hier sein erstes Erfolgserlebnis, dem in den folgenden zwölf Minuten weitere sechs folgen sollten. Minden bot im Angriff in dieser Phase eine unterirdische Leistung. Aus dem 6:3 (12.) wurde ein 6:7 (24.) wobei sich die GWD-Offensive nur in dieser kurzen Zeitspanne elf Fehlwürfe einhandelte, davon Just allein sechs! Jan-Fiete Buschmann war es zu verdanken, dass dieser Blackout keine zu großen Folgen hatte. Daslag aber auch an Nordhorn, das selbst zahlreiche Stockfehler produzierte. Es konnte eigentlich in Halbzeit zwei nur besser werden.
Wurde es dann auch - zumindest was die Offensive anging. Dafür litt nun das Defensivverhalten. Auf beiden Seiten war fast jeder Angriff ein Tor. Nordhorn legte dank Überzahl ein 10:12 vor, was GWD jedoch zum 14:13 und 17:15 konterte. Bis zum 21:19 hatten nun die Hausherren unter dem Jubel der 2800 Zuschauer die Nase mit zwei Toren vorn. Zudem musste Nordhorn seinen Deckungs-Mittelblock umstellen, nachdem Frank Schumann nach einer rüden Attacke gegen Buschmann (Schlag an den Hals) mit »rot« vom Platz musste. Doch im Mindener Spiel standen einfach zu viele Spieler neben ihren Füßen. Arne Niemeyer war kalkweiß im Gesicht - und genauso spielte er diesmal auch. Oder wann hat man es schon mal gesehen, dass zwei Pässe gleich zwei Meter über den eigenen Spieler ins Seitenaus gehen? Aber auch Ognjen Backovic, der ihn ersetzen sollte, war eher ein gefundenes Fressen für Peter Gentzel. Die harmlosen Würfe des Slowenen nutzte der HSG-Keeper zu den, in Hälfte eins noch verhinderten, gefährlichen Kontern von Jan Filip. Just war nur von Außen oder als Einläufer am Kreis stark. Und Snorri Gudjonsson verlieh dem Spiel trotz der insgesamt 17 Mindener Treffer im zweiten Abschnitt zu wenig Impluse. Das Grundübel lag nun aber in der Defensive, wo Nordhorns Angreifer nach einfacher Körpertäuschung durchmarschieren konnten, wie das Messer durch die Butter. »Da waren wir einfach nicht konsequent genug«, ärgerte sich Trainer Richard Ratka. Und zur letzten Sekunde führte er aus: »Wir haben wohl ein Talent, uns hier noch ein entscheidendes Tor zu fangen. Jetzt bleibt uns nicht mehr viel Zeit, aus unseren Fehlern zu lernen. Außerdem sind wir nun wohl auch in der Situation, wo die Abhängigkeit von anderen Ergebnissen immer größer wird. Ich bin mir aber absolut sicher, dass die Mannschaft auch in den beiden noch ausstehenden Spielen fest an sich glauben wird.«

Artikel vom 22.05.2006