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Porzellan für ein ganzes Leben

Restauratorin Claudia Kurfürst bei Lingemann: Zerbrochenes wird repariert

Von Bärbel Hillebrenner
(Text und Fotos)
Bad Oeynhausen (WB). Die chinesische Porzellanfigur war ganz billig vom Flohmarkt. Aber das kleine Mädchen weinte bitterlich, als sie kaputt ging und ihre Mutter sie wegwerfen wollte. »Diese Reparatur war mein erster Auftrag«, sagt Claudia Kurfürst und Geschichten wie diese könnte die Keramik-Restauratorin viele erzählen. Noch heute ist sie im Fachgeschäft Lingemann und nimmt defektes Geschirr und zerbrochene Gläser mit in ihre Porzellan-Klinik.

Die Meißen-Schale ist ein Erbstück. Nun ist sie kaputt. Und das Kristallglas ist am Stiel durchgebrochen. Nachzukaufen ist das fragile Stück der Hochzeitsausstattung nicht mehr. Zum Wegwerfen sind Schale und Glas zu schade: »Die meisten Sachen haben weniger einen materiellen als viel mehr einen ideellen Wert. Sie sind Erinnerungen an besondere Ereignisse. Manche begleiten uns doch ein Leben lang.« Kein Wunder, dass Claudia Kurfürst eine voll belegte Porzellan-Klinik betreibt. Die steht zwar in Moers, doch durch den Kontakt zum Fachgeschäft Lingemann haben auch Kunden aus Bad Oeynhausen und Umgebung mehrmals im Jahr die Möglichkeit, ihre defekten Schätzchen reparieren zu lassen.
Die Restauratorin hat alle Hände voll zu tun. Zu sehr hängt das Herz an der kaputten Keramik-Figur, an der Teekanne mit abgebrochener Tülle, an der Schüssel mit dem Sprung. »Manches Service ist Jahrzehnte alt, wurde gepflegt wie eine Kostbarkeit. Und dann plötzlich hat es eine Macke. Den Schreck der Kunden kann ich gut verstehen«, sagt die 45-Jährige. Die ergreifendste Geschichte erzählt sie von einer alten Dame, die zum Kriegsende aus Dresden geflüchtet war. Russische Soldaten hatten ihre wertvolle Meißen-Platte einfach aus dem Fenster geworfen. Sie zerbrach in viele Teile, doch die Frau sammelte alle Scherben auf. Sie überdauerten die Flucht - und 45 Jahre danach in einem Pappkarton. Mit diesem stand sie eines Tages vor Claudia Kurfürst: »Was hat sie sich gefreut, als ich ihr das Erinnerungsstück wieder heil zurückgeben konnte.«
Leicht ist eine Restauration von Porzellan und Glas, wenn man die Technik beherrscht. Und das tut Claudia Kurfürst. Fingerspitzengefühl braucht man, »ein Grobmotoriker sollte man nicht sein«. Allerdings hat ihr Handwerk auch seinen Preis: »Ich weiß genau, wie lange und wie aufwändig eine Reparatur ist. Die Kosten dafür sind manchmal höher als der noch verbliebene Wert von Tasse oder Teller.« Rezepturen von Glasuren und Farben seien streng gehütete Geheimnisse. Scherben werden nicht einfach zusammengeklebt, die Technik der Keramik-Restaurierung sei da schon komplizierter. Ein gutes Farbempfinden müsse man auch haben, denn : »Weiß ist nicht gleich Weiß und jedes Porzellan hat eine andere Tönung.«
Sie selbst sammelt übrigens kein Geschirr, sondern tatsächlich Tüten und Becher - aber aus Keramik. »Und alte Bücher, die sind unzerbrechlich«, lacht Claudia Kurfürst. Wie empfindlich Porzellan sein kann, weiß sie gut aus schmerzlicher Erfahrung: »Ich hatte ein Milchkännchen restauriert, das noch aus dem Besitz der Napoleon-Familie stammte. Als ich es für den Kunden verpacken wollte, fiel es mir durch die Noppenfolie auf den Boden. Entsetzlich!«, erzählt sie. Selten sei sie so geschockt gewesen und geheult habe sie, denn eigentlich ginge ihr nie ein Stück kaputt. Zum Glück konnte sie das wertvolle Kännchen wieder komplett heilen.
Wer sein kaputtes Porzellan noch für eine Reparatur abgeben möchte, hat dazu heute bis 16 Uhr bei Lingemann an der Mindener Straße die Möglichkeit.

Artikel vom 20.05.2006