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Mit schwarzen
Tränen gemalt

Biermann liest den »Großen Gesang«

Herford (man). »All meine Toten such ich, Gott! auf jedem Müll wie blöd/In jedem Haufen Asche.« Brutale Verse, anklagend und ergreifend zugleich. Sie handeln von den Erfahrungen des Warschauer Ghettos, vorgetragen werden sie in Herford von dem Liedermacher Wolf Biermann.

Am Montag, 22. Mai, liest der Künstler den »Großen Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk« ab 20 Uhr im Ernst-Lohmeyer-Haus. Verfasst wurde das Werk von dem jüdischen Lehrer Jizchak Katzenelson, der das Warschauer Ghetto erlebte. Die Zeit, die dem Dichter bis zu seiner Ermordung noch blieb, nutzte er zum Schreiben. Versteckt in Flaschen, überdauerten die mit zierlichen hebräischen Buchstaben beschriebenen Manuskriptzettel das Inferno.
Biermann war es, der den Text ins Deutsche übertrug. Über das in jiddischer Sprache entstandene Epos »Großer Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk« schreibt er: »Es ist ein grauenhaft schönes Gemälde, gemalt mit schwarzen Tränen in den rauchschwarzen Himmel. Dennoch leuchtet ein irres Licht in dieser Finsternis.«
In seinen Anmerkungen zur Übersetzung der 15 Gesänge diskutiert Biermann auch das Thema Sprache: »Dass ich dieses große jiddische Epos nun ausgerechnet in die Sprache der Mörder transportierte, soll keinen irritieren. Mein Deutsch ist ja nicht das von Hitler und Co., es ist gemacht aus der Muttersprache von Oma Meume und Emma Biermann in Hamburg.« Die wirkliche Sprache der Mörder sei der Mord.
Pfarrer Matthias Storck meint zu der Leistung Biermanns: »Es scheint, als habe er den Weg über seine Lieder und Texte, aber auch alle Umwege seines Lebens gebraucht, um diese harte Übersetzungsarbeit leisten zu können.«
Veranstalter der Lesung sind die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und die Evangelische Erwachsenenbildung.
Karten gibt es im Vorverkauf im Gemeindeamt Stiftberg und in der Buchhandlung Otto.
Auch die Stadt Herford würdigt den Künstler, dessen Sprachbegabung deutlich aus der anderer Liedermacher-Kollegen herausragt. Am Nachmittag vor der Lesung trägt sich der Bard Biermann ins Goldene Buch der Stadt Herford ein.

Artikel vom 20.05.2006